Kryonik (auch Biostase genannt) ist der Plan B für alle Menschen, für welche die ersten Verjüngungstherapien voraussichtlich zu spät kommen. Dabei wird der Körper (oder bei einer Neurokonservierung auch nur das Gehirn) nach der Todeserklärung schrittweise auf -196°C heruntergekühlt und schließlich in flüssigem Stickstoff gelagert. Bei dieser Temperatur stoppt alle biologische Aktivität. Ziel ist es, den Körper so lange aufzubewahren, bis zukünftige Technologien es möglich machen, diesen Menschen wiederzubeleben und seine Todesursache zu beseitigen. Der Begriff kommt vom griechischen Wort “kryos”, was übersetzt so viel wie “Frost” oder “Eiseskälte” bedeutet.

Geschichte und Status quo der Kryonik

Als Pionier der Kryonik gilt der amerikanische Hochschullehrer Robert Ettinger. Im Jahr 1962 hat er das Buch “The Prospect of Immortality”1 veröffentlicht und damit die Kryonik-Bewegung gestartet. 1967 hat sich der erste Mensch einfrieren lassen – James Bedford, ein Psychologieprofessor aus den USA.2 Mittlerweile werden weltweit rund 500 Menschen in dafür vorgesehenen Einrichtungen aufbewahrt und über 4000 haben bereits einen Vertrag abgeschlossen.3 Darunter sind auch einige Celebritys, wie diese Liste zeigt.4

Kryonik-Anbieter

Die drei weltweit größten Anbieter sind die Alcor Life Extension Foundation (Scottsdale, Arizona), das Cryonics Institute (Clinton Township, Michigan) und KrioRus (Moskau, Russland). Aber auch in Europa und sogar in Deutschland gibt es Organisationen, die Kryonik anbieten: zum Beispiel das Berliner Startup Tomorrow Biostasis. Die Interessengemeinschaft Cryonics Germany bietet neben einer Neurokonservierung in Deutschland zudem eine Möglichkeit zum Austausch und hilft bei rechtlichen, finanziellen, organisatorischen und technischen Fragen weiter.5

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Vitrifizierung

Kryokonservierung wird bereits routinemäßig bei Herzklappen, größeren Blutgefäßen, menschlicher Haut, Sperma und befruchteten Eizellen (siehe In-vitro-Fertilisation) angewendet.6 Der heutzutage wichtigste Schritt: die Vitrifizierung. Dabei werden die Körperflüssigkeiten durch einen sogenannten Kryoprotektor ersetzt. Das ist notwendig, weil es beim Gefrieren normalerweise zur Bildung von Eiskristallen kommt, die die Zellmembran und damit das Gewebe zerstören. Der Kryoprotektor nimmt beim Gefrieren einen glasartigen Zustand an, ohne Kristalle zu bilden.7

Der Tod als umkehrbarer Prozess

Wie sollen aber Menschen, die bereits tot sind, in Zukunft wieder leben können? Der Tod ist kein einmaliges Ereignis, sondern vielmehr ein neurologischer Prozess, der eintritt, sobald das Herz zu schlagen aufhört.8 Das Ziel von Kryonik ist, diesen Prozess zu unterbrechen und zu stoppen – innerhalb eines Zeitfensters, in dem er in Zukunft umkehrbar sein könnte.9 Ärzte erklären einen Patienten dann für tot, wenn sie mit der gegenwärtig verfügbaren Medizin nichts mehr für ihn machen können. Früher ist das bei Herzstillstand der Fall gewesen. Mittlerweile rettet die in den 1950er-Jahren entwickelte Herz-Lungen-Wiederbelebung tagtäglich Menschen auf der ganzen Welt, die einen Herzstillstand erlitten haben. Die Wissenschaft verschiebt ständig die Grenzen dessen, was als “tot” gilt.

Kryonik will diese Grenzen weiter ausdehnen: Sie sorgt dafür, dass sich der Zustand des Patienten nicht noch weiter verschlechtert und gibt der weitaus fortschrittlicheren Technologie der Zukunft eine Chance, das Problem des Patienten zu beheben und ihn zurück ins Leben zu holen. Insofern ist Kryonik also lediglich eine Erweiterung der Notfallmedizin – eine Art Krankenwagen in die Zukunft.10 Auch nach dem Erreichen biologischer Unsterblichkeit wird sie immer noch von Nutzen sein, beispielsweise um Todesfälle durch Unfälle oder nicht altersbedingte Krankheiten zu verhindern.11

Der Tod einer Person ist erst dann endgültig, wenn die für das Gedächtnis und die Persönlichkeit notwendige Struktur (also die Information, die eine Person ausmacht) so weit zerstört ist, dass es theoretisch unmöglich ist, die Person wiederherzustellen. Dieses Konzept ist als informationstheoretischer Tod (engl. “information-theoretic death”) bekannt.12

Bisherige Erfolge in der Kryokonservierung

Welche Erfolge gibt es bereits? Wir haben es bisher noch nicht geschafft, Menschen aufzuwärmen und wiederzubeleben. Allerdings: Bei einzelnen größeren Organen wie Nieren funktioniert der Prozess bereits. 2009 hat beispielsweise eine Forschungsgruppe unter der Leitung des Kryobiologen Greg Fahy es erstmals geschafft, die Niere eines Hasen zu vitrifizieren, zu kryokonservieren und so in einen anderen Hasen zu transplantieren, dass sie auch weiterhin normal funktioniert hat.13 Eine Studie im Jahr 2015 hat gezeigt, dass Modellorganismen (Fadenwürmer) kryokonserviert und wiederbelebt werden können, wobei ihre Erinnerungen intakt bleiben.14 Ebenfalls unter Fahys Leitung haben Forscher 2015 zudem das erste Mal Hasen- und Schweinegehirne so vitrifiziert und wieder aufgewärmt, dass die neuronale Vernetzung im gesamten Gehirn (das sogenannte Konnektom) nahezu perfekt erhalten geblieben ist.15 Mehr zur dafür verwendeten Methode findet ihr in unserem Post über die aktuelle Forschung im Bereich Kryonik!

Das Problem: Auch mit Vitrifizierung erleidet der kryokonservierte Körper immer noch beträchtliche Schäden – möglicherweise zu viele Schäden, um in Zukunft durch Aufwärmen wiederbelebt zu werden. (Eine andere Möglichkeit zur Wiederbelebung ist Mind-Uploading.16 Davon sind wir aber noch weit entfernt, denn wir haben noch viel darüber zu lernen, wie das menschliche Gehirn funktioniert.) Die Vitrifizierung von größeren Tieren oder Menschen ist deshalb noch nicht umkehrbar, weil für die Erhaltung von solch großen Strukturen sehr viel Kryoprotektor nötig ist. Dadurch wird die Wiederherstellung der Zellfunktion mit derzeit verfügbarer Technologie unmöglich.

Heliumpersufflation: ein Ansatz mit großem Potenzial

Erfreulicherweise gibt es einen neuen Ansatz, der das bald ändern könnte: Heliumpersufflation. Dabei wird kaltes Helium durch die Blutgefäße gepumpt. Der große Vorteil ist, dass der Körper damit viel schneller auf unter 120°C gekühlt werden kann als mit der alten Methode. Außerdem lassen sich so die Brüche im Gewebe vermeiden, die bisher noch auftreten. Der Ansatz hat auch abgesehen von Kryonik das Potenzial, zahlreiche Leben zu retten: Organtransplantationen wären dadurch in viel größerem Umfang möglich als heute. Keinice Bio, das Unternehmen, welches diese Technologie vorantreibt, wird unter anderem von der LEV Foundation finanziert.17

Wie soll die Wiederbelebung funktionieren?

Wie könnte die Wiederbelebung in Zukunft (abgesehen von Uploading) aussehen? Die Frage ist deshalb schwer zu beantworten, weil sie von Technologien abhängig ist, die heutzutage noch nicht in der nötigen Form existieren. Aktuelle technologische Fortschritte sind allerdings vielversprechend – unter anderem in Bereichen wie Tissue Engineering, biologischer 3D-Druck und Nanotechnologie. Letztere wäre wahrscheinlich notwendig, um die vor und während der Konservierung entstandenen Schäden auf molekularer Ebene wirklich umfassend zu reparieren. Der Nanotechnologe Robert Freitas hat 2022 das 700-seitige Buch “Cryostasis Revival: The Recovery of Cryonics Patients through Nanomedicine”18 veröffentlicht, in dem er einen möglichen Weg zur Reanimation und Wiederherstellung der Gesundheit von kryokonservierten Menschen aufzeigt. Hier19 ist seine Zusammenfassung des Buches, in dem er das von ihm ausgearbeitete Konzept kurz vorstellt.

Finanzierung, rechtliche Aspekte und Weiteres zur Kryonik

Stellt sich nur noch die Frage nach dem rechtlichen Rahmen und der Finanzierung. In einem unserer nächsten Beiträge der Kryonik-Serie gehen wir ausführlich darauf ein. Soviel vorweg: Ein Vertrag zur Kryokonservierung ist für die meisten Menschen gut finanzierbar – über eine Lebensversicherung. Und es gibt auch die Möglichkeit, Haustiere kryokonservieren zu lassen: In der Alcor Life Extension Foundation werden bereits knapp 100 Tiere in flüssigem Stickstoff aufbewahrt.20

 

Quellen

  1. https://www.amazon.com/Prospect-Immortality-Robert-C-Ettinger/dp/097434723X ↩︎
  2. https://www.cryonicsarchive.org/library/dear-dr-bedford-an-open-letter-to-the-first-frozen-man/ ↩︎
  3. https://www.tomorrow.bio/glossary/how-many-people-are-currently-cryonically-preserved ↩︎
  4. https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_people_who_arranged_for_cryonics ↩︎
  5. Websites: https://www.alcor.org/ | https://cryonics.org/ | https://kriorus.ru/en | https://www.tomorrow.bio/ | https://cryonics-germany.org/ ↩︎
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Kryokonservierung ↩︎
  7. Fahy GM, Wowk B. Principles of cryopreservation by vitrification. Methods Mol Biol 2015; 1257: 21-82. doi: 10.1007/978-1-4939-2193-5_2. PMID: 25428002. ↩︎
  8. https://www.alcor.org/library/faq-scientists-questions/#death ↩︎
  9. https://www.alcor.org/what-is-cryonics/ ↩︎
  10. https://www.youtube.com/watch?v=JwNNdG4MZvc ↩︎
  11. https://www.youtube.com/watch?v=nsUWw0I_-HY&t=947s ↩︎
  12. https://en.longevitywiki.org/wiki/Information_theoretic_death ↩︎
  13. Fahy GM, Wowk B, Pagotan R, Chang A, Phan J, Thomson B, Phan L. Physical and biological aspects of renal vitrification. Organogenesis 2009 Jul; 5(3): 167-75. doi: 10.4161/org.5.3.9974. PMID: 20046680; PMCID: PMC2781097. ↩︎
  14. Vita-More N, Barranco D. Persistence of Long-Term Memory in Vitrified and Revived Caenorhabditis elegans. Rejuvenation Res 2015 Oct; 18(5): 458-63. doi: 10.1089/rej.2014.1636. Epub 2015 Aug 20. PMID: 25867710; PMCID: PMC4620520. ↩︎
  15. McIntyre RL, Fahy GM. Aldehyde-stabilized cryopreservation. Cryobiology 2015 Dec; 71(3): 448-58. doi: 10.1016/j.cryobiol.2015.09.003. Epub 2015 Sep 25. PMID: 26408851. ↩︎
  16. https://de.wikipedia.org/wiki/Mind_uploading ↩︎
  17. https://www.levf.org/projects ↩︎
  18. https://www.amazon.de/Cryostasis-Revival-Recovery-Cryonics-Nanomedicine/dp/099681535X ↩︎
  19. https://www.alcor.org/docs/cryostasis-revival-summary.pdf ↩︎
  20. https://www.euronews.com/next/2023/01/15/inside-the-us-facility-where-199-legally-dead-humans-and-almost-100-pets-await-being-reviv ↩︎

Bildquelle: https://www.flickr.com/photos/arenamontanus/8111396819 (mit Veränderungen)

Weiterführende Quellen:

Für immer jung mit Kleine-Gunk: Wie mit Hilfe von Kryonik der Tod ausgetrickst werden soll: https://www.youtube.com/watch?v=_C-JVeDntZ4 

Wait But Why – Why Cryonics Makes Sense: https://waitbutwhy.com/2016/03/cryonics.html 

ARD Mediathek: NDR – Leben nach dem Tod: “Ich lasse mich einfrieren”: https://www.ardmediathek.de/video/deep-und-deutlich/leben-nach-dem-tod-ich-lasse-mich-einfrieren/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS9lZDYxNDA5OC1kNmNjLTRmNjItYjUzNi01ZTY3ZTU1NTQ5MDE

Talk von Tanya Jones über Kryonik auf einer ideacity-Konferenz – “Extending Lives Through Cold”: https://www.ideacity.ca/video/tanya-jones-extending-lives-cold/

Ausführlicher wissenschaftlicher Artikel mit Argumenten, warum Kryonik Sinn macht (“Scientific Justification of Cryonics Practice”): https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4733321/ 

FAQ von Tomorrow Biostasis: https://www.tomorrow.bio/de/faq 

FAQ von Alcor: https://www.alcor.org/library/frequently-asked-questions/