Kryoprotektoren sind Flüssigkeiten, die biologisches Material vor Gefrierschäden schützen – zum Beispiel durch Kristallisation. Sie funktionieren ähnlich wie Frostschutzmittel, das wir bei Minusgraden ins Auto geben, um den Gefrierpunkt des Wassers zu senken. 

Einige arktische und antarktische Tiere (z. B. Insekten, Fische oder Frösche) stellen Kryoprotektoren (Frostschutzmittel wie Glycerin oder sogenannte Frostschutzproteine) in ihren Körpern her, um Gefrierschäden durch die kalten Wintertemperaturen zu vermeiden. 

Warum braucht es für die Vitrifizierung Kryoprotektoren?

Das Einfrieren von Wasser im Körper verursacht zwei Arten von Schäden: mechanische und chemische. Die mechanischen Schäden haben wir in unseren vergangenen Beiträgen schon angesprochen: Sie entstehen dadurch, dass sich scharfe Eiskristalle bilden und Zellmembranen oder anderes Gewebe durchschneiden.

Zusätzlich treten aber auch noch chemische Schädigungen auf. Normalerweise ist das Wasser in einem lebenden Organismus Teil einer Lösung, die aus vielen verschiedenen Molekülarten besteht. Wenn die Wassermoleküle gefrieren, suchen sie sich gegenseitig und bilden reines gefrorenes Wasser, das alle anderen Moleküle aus dem Eis verdrängt. Dies führt zu einer hohen Konzentration von schädlichen gelösten Stoffen in dem verbleibenden flüssigen Wasser. Aufgrund dessen ist die Vitrifizierung (Ersetzen des Blutes mit einem Kryoprotektor, der beim Abkühlen einen glasartigen Zustand bildet) seit über 20 Jahren in der Kryokonservierung von Organen und in der Kryonik Standard.

 

Geschichte der Kryoprotektoren

Bis zur Jahrtausendwende haben Kryoniker Glycerin als Kryoprotektor eingesetzt. Glycerin ist allerdings ziemlich giftig für unsere Zellen und nicht dazu geeignet, um Organe oder gar einen ganzen Körper zu vitrifizieren. Die Alcor Life Extension Foundation ist deshalb 2001 zu B2C gewechselt, einer besonders konzentrierten Form des Kryoprotektors VM3. VM3 ist damals bereits gängigerweise in der Vitrifizierung von Eizellen und Nierenrinde der Maus zum Einsatz gekommen. Darüber hinaus hat VM3 die geringste Toxizität bei der Vitrifizierung des Hippocampus (Teil des Gehirns) von Ratten gezeigt. 2005 ist ein erneuter Wechsel zum Kryoprotektor M22 erfolgt, den die Organisation bis heute anwendet – weiter unten mehr dazu.

Kryoprotektoren: Zusammensetzung und Funktionsweise

Jeder moderne Kryoprotektor besteht aus einer Mischung von durchdringenden und nicht durchdringenden Chemikalien. Durchdringende Chemikalien dringen ins Innere der Zelle ein und verhindern dort die Eisbildung. Nicht durchdringende Chemikalien vermeiden die Bildung von Eis zwischen den Zellen. Das passiert, indem sie Wasserstoffbrückenbindungen mit den Wassermolekülen eingehen und so verhindern, dass sich diese zu einem Eisgitter organisieren.

Durchdringende und nicht durchdringende Chemikalien

Die durchdringenden Chemikalien werden regelmäßig zusammen mit den nicht durchdringenden Chemikalien eingesetzt, da sich Eis eher extrazellulär als intrazellulär bildet (das Wasser fließt aus den Zellen und kristallisiert dann in den Zwischenräumen). Wenn nicht durchdringende Bestandteile vorhanden sind, müssen durchdringende Bestandteile nicht so konzentriert sein. Dies ist für eine hochwertige Kryokonservierung von entscheidender Bedeutung, denn je höher die Konzentration der durchdringenden Chemikalien, desto toxischer der Kryoprotektor. Die richtige Mischung aus durchdringenden und nicht durchdringenden Lösungen kann ein hohes Maß an Schutz bei geringer Toxizität bieten, ohne die Qualität der Verglasung zu beeinträchtigen. Außerdem wissen wir inzwischen, dass man die Toxizität weiter verringern kann, indem man der Mischung sogenannte synthetische Eisblocker hinzufügt. Synthetische Eisblocker (auch SIBs für “synthetic ice blockers”) sind Verbindungen, die das Wachstum von Eiskristallen hemmen. Sind sie Teil des Kryoprotektors, benötigt man weniger toxische Bestandteile, um trotzdem noch eine gute Vitrifizierung zu gewährleisten.

Messmethode für Toxizität von Kryoprotektoren

Kryobiologen haben zudem herausgefunden, dass die allgemeine Toxizität eines Kryoprotektors anhand eines Maßes namens qv* vorhergesagt werden kann. 21st Century Medicine hat die Messmethode auf Grundlage von Tests mit K+- und Na+-Ionen (positiv geladene Kalium- und Natriumatome) an Hasennieren erarbeitet. Die Na+-Konzentration außerhalb einer Zelle ist in der Regel 10-mal höher als innerhalb einer Zelle, während die K+-Konzentration innerhalb einer Zelle in der Regel 20- bis 35-mal höher ist als außerhalb. Das Membranenzym Na/K-ATPase befördert unter Aufwendung eines Moleküls ATP drei Na+-Ionen im Austausch für zwei K+-Ionen, die in eine Zelle eingebracht werden, aus der Zelle hinaus. Wenn die Zellmembran gerissen ist oder wenn eine Zelle nicht mehr in der Lage ist, ATP zu produzieren, verändert sich das K+/Na+-Verhältnis.

File:Natrium-Kalium-Pumpe.svg - Wikimedia Commons

Natrium-Kalium-Pumpe. Bild von Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Natrium-Kalium-Pumpe.svg Lizenz: CC BY-SA 4.0

qv* misst die durchschnittliche Stärke der Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den polaren Gruppen des Kryoprotektors und den Wassermolekülen einer Lösung. Quantitativ stellt qv* die Anzahl der Wassermoleküle pro Volumeneinheit geteilt durch die Anzahl der Mole der polaren Gruppen des Kryoprotektors bei der Mindestkonzentration dar, die für die Vitrifizierung unter standardisierten Bedingungen erforderlich ist. Dieses Maß ermöglicht dadurch die gezielte Herstellung von Lösungen mit möglichst geringer Toxizität.

Derzeit verwendete Kryoprotektoren

Die zwei derzeit hauptsächlich in der Kryonik verwendeten Kryoprotektoren sind M22 (patentiert von dem Unternehmen 21st Century Medicine) und VM1. Während VM1 lediglich für den Prozess des Abkühlens konstruiert ist, haben die Designer von M22 zusätzlich darauf geachtet, die Lösung so wenig toxisch wie möglich zu machen (um Schädigungen beim Auftauen zu minimieren). M22 ist zudem besser erforscht als VM1, allerdings auch deutlich teurer: Die Verwendung kostet einen Betrag im fünfstelligen Bereich, während VM1 nur auf einige hundert Euro kommt. 

Das Cryonics Institute und Tomorrow Biostasis verwenden beide eine von ihnen selbst modifizierte Version von VM1. Tomorrow Biostasis gibt als Grund an, dass das Unternehmen aufgrund des geringeren Preises von VM1 Geld einspart und stattdessen in Logistik, Infrastruktur und Training der Standby-Teams investieren kann, um schneller reagieren zu können. 

Die Alcor Life Extension Foundation verwendet M22, um eine möglichst gute Qualität der Kryokonservierung und den aktuell bestmöglichen Schutz der Gehirnstrukturen zu gewährleisten. 

Interessant ist, dass sowohl M22 als auch VM1 aus denselben Kernkomponenten bestehen: Ethylenglykol und Dimethylsulfoxid (DMSO). M22 enthält zusätzlich Formamid, das in der Gegenwart von DMSO nur eine geringe Toxizität hat.

M22

Der am wenigsten toxische Kryoprotektor, M22, wird seit 2005 vom Patentinhaber 21st Century Medicine an die Alcor Life Extension Foundation lizenziert und weltweit von vielen Laboren zur Kryokonservierung von Gewebeproben verwendet. Seinen Namen hat er davon, dass er bei -22°C in den Patienten eingeführt werden soll. M22 basiert auf der Erkenntnis, dass Dimethylsulfoxid (DMSO) die Toxizität von Formamid neutralisieren kann. Deshalb enthält M22 auch genau gleich viel von den beiden Stoffen. 

M22 enthält zwei Eisblocker – synthetisch hergestellte Polymere, die die Keimbildung von Eis hemmen. Der erste besteht aus Polyvinylalkohol (PVA) und Vinylacetat und wird von 21st Century Medicine unter der Bezeichnung X-1000 verkauft. Der andere, Z-1000 getauft, ist Polyglycerin. Er hemmt spezifisch die Keimbildung, die durch das Bakterium Pseudomonas syringae verursacht wird. Mischungen aus den beiden Eisblockern sind bei der Hemmung der Eisbildung wirksamer als einer der beiden Wirkstoffe allein, was darauf hindeutet, dass sie sich gegenseitig ergänzen, indem sie verschiedene Quellen (bakterielle und nicht bakterielle) der Eisbildung hemmen. Um den Zellstoffwechsel bei niedrigen Temperaturen zu unterstützen und oxidative Schäden sowie Ödeme (Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe) zu verhindern, benötigt M22 zusätzlich eine geeignete Trägerlösung.

M22 bewirkt eine erhebliche Schrumpfung des Gehirns während der Perfusion von Patienten. Tatsächlich kann die zerebrale Dehydrierung ein wichtiger Faktor für die Verglasung des Gehirns sein und sogar geringere Konzentrationen von M22 zur Konservierung des Gehirns ermöglichen. 

Die signifikantesten Fortschritte in der Kryokonservierung wie beispielsweise die erfolgreiche Vitrifizierung, Erwärmung und Transplantation einer Hasenniere im Jahr 2009 sind mit M22 erzielt worden. Allerdings besteht M22 im Gegensatz zu VM1 oder älteren Kryoprotektoren aus acht verschiedenen Komponenten, zusammen mit der Trägerlösung sind es 15. Komponenten wie die Eisblocker haben dazu geführt, dass die Kosten für eine Kryokonservierung bei Alcor die der Konservierung beim Cryonics Institute um ein Vielfaches übersteigen. Das wirft natürlich Fragen zu Kosten und Nutzen auf. 

Die Idee hinter der Verwendung von M22 ist, dass die bessere Vitrifizierung zu einem geringen Bedarf an zukünftigen Reparaturtechnologien und infolgedessen zu einer schnelleren Wiederbelebung führen wird. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das jedoch reine Spekulation. Ein anderer Vorteil bezieht sich auf PR beziehungsweise Marketing: Eine Organisation, die den modernsten Kryoprotektor einsetzt, den auch schon viele Labore außerhalb der Kryonik routinemäßig verwenden, wird von den Leuten auch eher als seriös wahrgenommen.

VM1

VM1 ist vom hauseigenen Kryobiologen des Cryonics Institute, Yuri Pichugin, entwickelt worden – und zwar im Gegensatz zu M22 speziell für Kryonik-Patienten. Der Name steht für “Vitrification Mixture 1”, was bedeutet, dass es der erste von dem Cryonics Institute eingesetzte Kryoprotektor ist, der auch tatsächlich eine Vitrifizierung ermöglicht (also eine Verglasung ohne kristalline Struktur). Eine Übersicht über die Zusammensetzung von VM1 gibt es auf der Webseite des Cryonics Institute.

Die hohe Stabilität und Fähigkeit zur Verglasung von VM1 ist mehrfach belegt. Pichugin hat 20-ml-Glasfläschchen mit 60%-igen und 65%-igen VM1-Lösungen mit einer Rate von nur 0,1°C pro Minute gekühlt und erwärmt und dabei keine Eisbildung beobachtet. 65%-iges VM1 mit homogenisiertem Rattenhirngewebe (also mit Zellaufschluss behandeltem Gewebe) hat nach 14 Tagen bei Trockeneistemperatur (-78,5°C) keine Eiskristalle gezeigt. Und auch große Mengen (zwei Liter) von VM1 sind nach 21 Tagen Trockeneistemperatur noch eisfrei gewesen. 

Da VM1 toxischer als M22 ist, wird es bei damit vitrifizierten Patienten fortschrittlichere Technologien fürs Aufwärmen brauchen als bei Patienten, bei denen M22 zum Einsatz gekommen ist. 

Anders als M22 ist VM1 nicht geeignet, um den ganzen Körper damit zu perfundieren (also zu durchströmen) und zu vitrifizieren. Bei CI-Patienten hat eine Ganzkörperperfusion mit Komponenten von VM1 wie Ethylenglykol zu schweren Ödemen geführt. Deshalb rät das Cryonics Institute derzeit von einer Ganzkörperperfusion ab, um eine optimale Perfusion und Vitrifizierung des Gehirns mit VM1 sicherzustellen.

Genau wie VM1 verursacht auch VM1 ein Schrumpfen des Gehirns. Die Zugabe von Natriumdodecylbenzolsulfonat kann das verhindern. Allerdings verzichten Kryonik-Anbieter zurzeit darauf, weil eine gewisse Schrumpfung wünschenswert ist. Im Falle einer zerebralen Ischämie, also einer verminderten oder fehlenden Durchblutung des Großhirns, die die meisten Kryonik-Patienten erleiden, schafft die Schrumpfung Stabilität und erleichtert die Vitrifizierung

 

Quellen: