Was passiert mit mir, wenn ich sterbe und vorher einen Kryonik-Vertrag abgeschlossen habe? Die Frage taucht als eine der ersten auf, wenn man vor der Entscheidung steht, ob man einen Kryonik-Vertrag abschließen möchte.

Es hängt von der Todesart und den Umständen ab

Die Antwort hängt von der Todesart und den Umständen ab, unter denen der Patient stirbt. Für den Erfolg der Kryokonservierung ist es zuträglich, an Krebs oder einer anderen Krankheit mit “Vorlaufzeit” zu sterben, um sich auf den Tod vorbereiten zu können. Ungünstiger ist ein plötzlicher und unerwarteter Tod, z. B. durch einen Herzinfarkt. Am schlechtesten ist es, in einem Unfall zu sterben, bei dem das Gehirn schwere Schäden erleidet oder womöglich gar nicht mehr auffindbar ist. 

Zuerst müssen wir uns aber kurz damit beschäftigen, wann Kryokonservierung anfängt – und wie genau der Übergang zwischen Leben und Tod aussieht. 

Sind kryokonservierte Menschen bereits tot?

Die meisten Menschen betrachten den Tod als eine Art Schalter: Eine Person ist entweder definitiv am Leben oder definitiv tot. Diese Sichtweise ist allerdings irreführend.

Der Tod als Prozess

Der Tod ist vielmehr ein Prozess, bei dem immer mehr Zellen (und damit Organe) im Körper langsam durch Sauerstoffmangel absterben. Der rechtliche Tod ist insofern relevant, als dass die Prozedur der Kryokonservierung erst ab diesem Zeitpunkt begonnen werden darf. Dies bedeutet aber nicht, dass die Person in dem Fall unwiederbringlich verschwunden ist oder all ihre Zellen tot sind. Es bedeutet lediglich, dass ein Arzt offiziell erklärt, mit seinem Wissen und dem heutigen Stand der Technologie nichts mehr für die Person machen zu können. 

Tot oder nicht tot? – Der informationstheoretische Tod

Während die Patienten gelagert sind, sind sie zwar nicht am Leben (weil ihr Körper nicht mehr funktioniert), aber auch nicht tot. Endgültig tot ist eine Person erst, wenn die Strukturen, die für ihre Erinnerungen, Persönlichkeit und Identität verantwortlich sind, unwiederbringlich zerstört sind. Diesen Zustand bezeichnen Kryoniker als informationstheoretischen Tod.1 Die kryokonservierten Menschen befinden sich in einer Art Zwischenstadium – vergleichbar mit der Dämmerung zwischen Tag und Nacht. 

Wie unscharf die Grenze zwischen Leben und Tod ist, zeigen Fälle wie der der Schwedin Anna Bågenholm, die 1999 nach drei Stunden klinischem Tod ohne bleibende Schäden wiederbelebt werden konnte.

Stirbt das Gehirn nicht nach vier bis sechs Minuten ohne Sauerstoff?

Heutzutage ist die Annahme weit verbreitet, dass nach vier bis sechs Minuten ohne Sauerstoff der Hirntod eintritt. Das ist so nicht korrekt: Das Gehirn “stirbt” nicht nach vier bis sechs Minuten, weil es dann sofort zerstört wird, sondern aufgrund von Reperfusionsschäden: einer Reihe von zerstörerischen Prozessen, die in so einem Fall paradoxerweise durch die Wiederbelebung entstehen – also durch die Wiederherstellung des warmen Blutflusses. Hauptsächlich sind es Entzündungsprozesse, die die Blutgefäße verstopfen und verhindern, dass die Gehirnzellen mit Sauerstoff versorgt werden, was dann tatsächlich zum Tod der Zellen führt (allerdings über einen Zeitraum von mehreren Stunden, nicht Minuten). 

Experimente, die den Hirntod hinauszögern

Schon heute können experimentelle Behandlungen die Zeitspanne, die bei Kreislaufstillstand ohne Hirnschädigung überlebt werden kann, auf über zehn Minuten verlängern. Die wichtigste davon ist künstliche Hypothermie – die Verringerung der Körpertemperatur um einige Grad oder die Verwendung von gekühltem Blut. Mit jedem Temperaturabfall um zehn Grad sinkt der Stoffwechselbedarf um 50%. Das ist unter anderem der Grund, warum Neurochirurgie das kann, was sie kann – oder warum Bypass-Operationen möglich sind. Dabei werden die Patienten auf 34°C oder 35°C gekühlt, um Stoffwechselprozesse zu verlangsamen und das Gehirn in der verwundbaren Phase zu schützen. Weitere Maßnahmen, die die Zerstörung des Gehirns hinauszögern können, sind die Öffnung verstopfter Gefäße durch Erhöhung des Blutdrucks, Blutverdünnung, die Vermeidung einer übermäßigen Sauerstoffanreicherung und die medikamentöse Hemmung des Zelltods.

In einigen Tierstudien sind die Gehirne der Tiere sogar nach 16 Minuten ohne neurologische Defizite zurückgeholt worden. Forscher am Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung (damals Max-Planck-Institut für neurologische Forschung) haben es in ein paar Studien sogar geschafft, isolierte Affen- und Katzengehirne nach einer vollen Stunde Herzstillstand wieder zur normalen elektrischen Funktion zu bringen.3 Dasselbe haben sie später mit ganzen Katzen gemacht – allerdings mit mäßigem neurologischem Defizit.4 Und es wird sogar noch unglaublicher: Nervenzellen können noch nach acht Stunden Herzstillstand wieder funktionsfähig werden (also wieder zum Energiestoffwechsel und axonalen Transport in der Lage sein).5 Erkennbare Gehirnzellstrukturen und die neuronale Vernetzung bleiben sogar noch viel länger bestehen.6 

Wann hilft Kryonik nicht mehr?

Ab welcher Zeitspanne nach dem klinischen Tod kann Kryonik dann nicht mehr helfen (beziehungsweise wann tritt der informationstheoretische Tod ein)? Diese Frage können wir mit unserem heutigen Wissensstand nicht eindeutig beantworten, vor allem, da wir nicht wissen, welche Technologien die Zukunft mit sich bringt. Aus diesem Grund wünschen sich viele Mitglieder, unabhängig von der Verzögerung oder dem Schweregrad der Schädigung kryokonserviert zu werden. Jeder, der einen Kryonik-Vertrag abschließt, kann jedoch darin seine Bedingungen festhalten, unter denen er nicht mehr konserviert werden möchte.

Der Idealfall für Kryonik: ein vorhersehbarer Tod

Der Idealfall ist ein vorhersehbarer Tod, beispielsweise an Krebs, sodass ein Standby-Team vor Ort ist und direkt nach der rechtlichen Todeserklärung mit dem Verfahren loslegen kann. In solchen Fällen bleiben der Körper und das Gehirn mit Abstand am besten erhalten. Alcor empfiehlt deshalb unheilbar kranken Mitgliedern, vor ihrem rechtlichen Tod in die entsprechende Gegend zu ziehen. Sie stellen dafür eine Umzugshilfe von bis zu 10 000 US-Dollar zur Verfügung. Außerdem rät die Organisation, sie über medizinische Diagnosen zeitnah zu informieren und sie rechtzeitig zu benachrichtigen, wenn eine Operation geplant ist.

Es kommt darauf an, den Tod rechtzeitig zu bemerken

Kryoniker bekommen meistens ein Armband oder eine Halskette mit Anweisungen und einer Telefonnummer. So soll die Person, welche den Verstorbenen in einem ungünstigeren Fall auffindet, wissen, dass sie den Anbieter benachrichtigen muss. Außerdem stellt der Anbieter für gewöhnlich mehrere Karten mit den Kontaktdaten zur Verfügung, die Kryoniker ihren Angehörigen geben können. 

Alcor und CI haben Apps entwickelt, mit denen sie für einen täglichen Anruf zu einer vorher festgelegten Uhrzeit sorgen können, um sich zu vergewissern, dass es einem Mitglied gut geht und zu prüfen, ob es irgendwelche gesundheitlichen Veränderungen gibt.7 Nimmt das Mitglied nach mehreren Versuchen immer noch nicht ab, wird eine Kontaktperson alarmiert, zum Beispiel ein Familienmitglied oder Nachbar. 

Geräte zur frühzeitigen Erkennung des Todes

Die Organisationen haben Pulsmesser und andere Geräte im Auge, die für eine rasche Benachrichtigung sorgen könnten. Tomorrow Biostasis entwickelt gerade eine App, die mit Wearables (z. B. Smartwatches) kompatibel ist und das Unternehmen sofort verständigen kann, wenn lebenswichtige Funktionen aussetzen.8 Ebenfalls erfolgreich im Einsatz ist eine Technik namens Ballistokardiographie: Bewegungssensoren, die bei sehr alten oder chronisch kranken Menschen unter die Bettmatratze gelegt werden und die mechanischen Schwingungen des Körpers messen, die durch den Herzschlag oder auch die Atmung verursacht werden. Auf diese Weise kann das System einen Notfall in der Nacht meist innerhalb von weniger als drei Minuten erkennen.

Die Non-Profit-Organisation Cryonics Monitoring gibt einen Überblick über bisher entwickelte Überwachungssysteme für Kryoniker und bewertet diese.9 

Kryonik-Ablauf im Idealfall

Der Ablauf von Kryonik: Vom Tod hin zur Kühlung, Vitrifizierung und der Aufbwahrung in Thermobehältern

Wie läuft der Prozess der Kryokonservierung nun genau ab? Wenn der Idealfall vorliegt und das Team sofort nach der Todeserklärung mit der Prozedur beginnen kann, werden zunächst der Blutkreislauf und die Atmung mit einem Herz-Lungen-Wiederbelebungsgerät (HLR) künstlich wiederhergestellt. Dieses funktioniert mit unter Druck stehendem Sauerstoff und setzt den Kreislauf sehr viel besser in Gang als eine manuelle Herz-Lungen-Wiederbelebung. 

Möglichst schnelle Kühlung

Was in allen Fällen passiert: Der Patient wird mit Eiswürfeln bedeckt und mit kaltem Wasser begossen, um den Körper möglichst schnell zu kühlen. Anschließend bekommt er zellschützende, gerinnungshemmende, antibiotische und anästhetische Medikamente verabreicht. Beispiele sind Natriumcitrat (schützt Nervenzellen), Heparin (gerinnungshemmend), Minocyclin (antibiotisch) und Propofol (anästhetisch, schützt ebenfalls Nervenzellen). Nun kann das Kryonik-Team den Patienten im Eiswasserbad zur Einrichtung transportieren, wo sie ihn für die weitere Abkühlung vorbereiten. 

Einsatz von Konservierungslösung bei weitem Transport

Ist der Patient weit von der Kryonik-Einrichtung entfernt und muss per Flugzeug dorthin gebracht werden, wird sein Blut durch eine Konservierungslösung ersetzt, deren Temperatur ein paar Grad über dem Gefrierpunkt liegt und die die Zellen im Körper am Leben hält. Diese Behandlung ähnelt denen, die von Transplantationschirurgen angewandt werden, um Organe lebensfähig zu halten, die zur Transplantation durch das ganze Land transportiert werden – mit dem Unterschied, dass sie hier am ganzen Körper zum Einsatz kommen. Relativ unbekannt ist, wie stark die Überlebensfähigkeit bei kalten Temperaturen dadurch erhöht werden kann: Studien zeigen, dass ganze Tiere bis zu drei Stunden Lagerung im Eis mit der heute verfügbaren Technologie überleben können.10 Sie können sogar noch längere Zeiträume überleben, wenn die Konservierungslösung kontinuierlich zirkuliert wird.11

Alcor wendet in einigen solchen Fällen auch ein Verfahren namens FCP (Field Cryoprotection) an. Dabei wird zumindest der Kopf bereits am Todesort vitrifiziert (siehe nächsten Absatz) und der Patient bei -79°C auf Trockeneis statt im Eiswasser zur Einrichtung gebracht.

Vitrifizierung – künstlicher Blutkreislauf zum Einbringen des Kryoprotektors

In der Kryonik-Einrichtung wird zunächst ein künstlicher Blutkreislauf hergestellt. Dafür werden entweder die Halsgefäße geöffnet (um vor allem das Gehirn möglichst gut zu erhalten) oder mittels einer Öffnung des Brustkorbs Schläuche in die großen Gefäßabgänge des Herzens eingeführt. Dann läuft eine zellschützende Lösung über eine Schlagader in den Körper und treibt das Blut über eine Vene aus. In steigender Konzentration wird der Lösung der Kryoprotektor (eine Flüssigkeit, die verhindert, dass sich beim Kühlen Eiskristalle bilden, die das Gewebe zerreißen) zugesetzt, bis er etwa 70% des Gemisches ausmacht. So wird sichergestellt, dass der Kryoprotektor auch fast alle Zellen erreicht und den Körper zuverlässig vitrifiziert. 

Ist eine eisfreie Kryokonservierung des Gehirns möglich?

Einige Wissenschaftler haben behauptet, dass eine eisfreie Kryokonservierung des Gehirns nicht möglich ist, weil der Kryoprotektor nicht alle Teile des Gehirns erreicht.12 Für die Vitrifizierung werden jedoch genau dieselben Gefäße genutzt, die das Gehirn ständig mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Die eisfreie Konservierung des Gehirns ist sowohl im Labor13 als auch in einigen ausgewählten Fällen von kryokonservierten Mitgliedern14 nachgewiesen. Zwar verzögert die Blut-Hirn-Schranke die Aufnahme des Kryoprotektors. Die Folge davon ist aber, dass dem Gehirn durch das osmotische Ungleichgewicht, welches während der Einführung des Kryoprotektors entsteht, Wasser entzogen wird. Es wird dadurch also noch widerstandsfähiger gegen die Bildung von Eiskristallen. Die Dehydrierung des Gehirns scheint allerdings zu ultrastrukturellen Veränderungen zu führen (Veränderungen der Feinstruktur des Gehirns, die nur mit Elektronenmikroskopie darstellbar sind), was tatsächlich ein noch ungelöstes Problem der Kryonik ist. In “guten” Kryonik-Fällen kann eine Dehydrierung von bis zu 50% des gesamten Hirnvolumens beobachtet werden. Momentan wissen wir noch nicht, bis zu welchem Grad es der Flüssigkeitsmangel noch erlauben wird, die Funktion des Gehirns in Zukunft wiederherzustellen – sofern dies überhaupt möglich sein wird.

Schrittweise Kühlung des Patienten 

Der Ersatz des Blutes durch den Kryoprotektor dauert mehrere Stunden und läuft bei einer Körpertemperatur von ca. 0°C ab. Danach kommen die Patienten in eine Kühlbox und werden computergesteuert gekühlt: Flüssiger Stickstoff wird eingespritzt und verdampft, ein Gebläse lässt das Stickstoffgas bei knapp -125°C zirkulieren. Ziel ist es, alle Teile des Patienten so schnell wie möglich unter -124°C (die Temperatur, bei der der Kryoprotektor fest wird und in einen glasartigen Zustand übergeht) abzukühlen, um jegliche Eisbildung zu vermeiden. Dies dauert etwa drei Stunden, an deren Ende der Patient “verglast” ist (einen stabilen eisfreien Zustand erreicht hat). Der Patient wird dann über einen Zeitraum von mehreren Tagen mit derselben Technik weiter auf -196°C abgekühlt.

Abkühlung lässt schädliche Brüche im Gewebe entstehen

Tatsächlich würden prinzipiell auch schon die -125°C reichen: Sobald der Kryoprotektor fest ist, sind alle Stoffwechselaktivitäten stillgelegt. -196°C ist allerdings die Temperatur von flüssigem Stickstoff, der ein sicheres, ungiftiges, billiges und leicht verfügbares Kühlmittel darstellt. Leider verursachen bei der weiteren Abkühlung thermische Spannungen großflächige Brüche im Gewebe (zum Beispiel aufgrund ungleichmäßiger Abkühlungsraten, unterschiedlicher Ausdehnungskoeffizienten von Knochen und Muskeln und so weiter), was ein bisher ungelöstes Problem ist. Wichtig ist, dass diese Brüche keine offenen Verletzungen sind. Ein guter Vergleich ist eine intakte, aber zerbrochene Windschutzscheibe aus Glas. Die Brüche klingen zwar nach einem ernsthaften Problem. Zukünftige Medizin wird sie aber wahrscheinlich gut reparieren können, weil sie keinen nennenswerten Informationsverlust verursachen: Der Schaden tritt auf größerer Ebene auf und zerstört keine wichtigen Strukturen (wie es bei der Eiskristallbildung der Fall wäre). Alcor testet gerade ein neues Lagerungssystem, das mit wärmeren Temperaturen arbeitet, um die Brüche künftig zu umgehen.15 (Einer unserer nächsten Beiträge wird einen neuen Ansatz unter die Lupe nehmen, der dieses Problem von einer völlig anderen Seite adressiert: Heliumpersufflation.) 

Aufbewahrung des Patienten in einem Thermobehälter

Der Patient wird in einem mit flüssigem Stickstoff gefüllten großen Thermobehälter (beispielsweise einem Dewargefäß) aufbewahrt, der jeden Tag kontrolliert wird. Alles, was nötig ist, ist ungefähr einmal pro Woche etwas Stickstoff nachzufüllen. Gelagert wird der Patient kopfüber, um bei einem Unfall mit größerem Stickstoffaustritt möglichst lange den Kopf zu schützen. 

Ein kryokonserviertes Mitglied teilt sich einen Behälter mit drei anderen. Im Falle einer Neurokonservierung, bei der nur das Gehirn in den Kälteschlaf geht, sind es normalerweise um die 45 Gehirne, die zusammen gelagert werden. Die Gehirne bleiben während der Konservierung im Kopf, da dies weniger Risiken birgt.

Für die Kühlung wird keinerlei Strom benötigt – sie wird ausschließlich durch den flüssigen Stickstoff gewährleistet. Das widerlegt auch die Irrtümer, dass ein Stromausfall alles zunichte macht oder durch die Lagerung viele CO2-Emissionen entstehen.

Gehen bei der Kryokonservierung meine Erinnerungen verloren?

Wir können ziemlich sicher sein, dass das nicht der Fall ist. Sehr kurzfristige Erinnerungen (in den letzten 30 Sekunden bis maximal wenigen Minuten) sind lediglich in elektrochemischer Aktivität gespeichert, aber alles, was darüber hinausgeht, bildet körperliche Veränderungen im Gehirn: Veränderungen der Synapsen, des Spiegels bestimmter Neurotransmitter, des Gehalts an Proteinen und so weiter.16

Bleiben diese Veränderungen beim Prozess der Kryokonservierung erhalten? Um das zu testen, haben Forscher im Jahr 2015 eine Studie an dem bekannten Modellorganismus C. elegans (Fadenwurm) durchgeführt. Dafür haben sie eine Methode der sensorischen Prägung verwendet, um das Langzeitgedächtnis des Geruchs in den Würmern zu testen. Nach ihrer Kryokonservierung und Wiederbelebung sind die Würmer dazu in der Lage gewesen, das induzierte Geruchsgedächtnis abzurufen. Die dafür notwendigen Strukturen sind durch das Einfrieren also nicht zerstört worden.17 

2020 haben Wissenschaftler in einer weiteren Studie die Auswirkungen der Kryokonservierung auf das Gehirn einer Frau überprüft, die ihren Körper gespendet hat. Die Ergebnisse haben erneut gezeigt, dass es keinen nachteiligen Effekt auf die Dicke des Hippocampus oder der Großhirnrinde gegeben hat – beides Regionen, die bei der Speicherung von Erinnerungen eine zentrale Rolle spielen.18

Gehirnnebel: Wenn die Erinnerungen verschwommen sind

Was allerdings auftreten könnte, ist ein vorübergehender Zustand namens “Gehirnnebel” oder “brain fog”. Das würde bedeuten, dass die eigenen Erinnerungen zunächst etwas verschwommen sind, während das Gehirn nach der Wiederbelebung langsam wieder alle Funktionen aufnimmt. Kurzzeitiger Gedächtnisverlust und Hirnnebel sind häufige Nebenwirkungen bei Herzinfarktpatienten. Der Grund ist ein vorübergehender Sauerstoffmangel in einem bestimmten Bereich des Hippocampus, der zum Absterben der dortigen Neuronen führt.19 Glücklicherweise arbeiten Wissenschaftler bereits an einer Möglichkeit, die Neuronen in diesem Bereich wiederherzustellen, sodass wir dieses Problem in Zukunft womöglich gar nicht mehr haben werden.20 

Kryonik: Die Wiederbelebung

Nun kommen wir zum herausforderndsten Part: der Wiederbelebung. Niemand kann heutzutage mit Sicherheit sagen, ob es möglich sein wird, die Menschen aus dem flüssigen Stickstoff wieder zum Leben zu erwecken. Dafür sind mehrere Schritte notwendig: Die Todesursache muss geheilt werden, der Patient muss verjüngt werden, das Aufwärmen und Ingangsetzen der Gehirn- und anderer Körperfunktionen muss erfolgreich sein, entstandene Schäden müssen repariert werden. Außerdem müssen wir es schaffen, den Patienten wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Klaus Sames spricht etwas scherzhaft davon, dass man manche ins Leben zurückgeholte Menschen evtl. zuerst in einen Cyberspace bringen wird, der das 21. Jahrhundert simuliert, um keinen Kulturschock auszulösen. Dieser Artikel von Tomorrow Biostasis bietet einen guten Überblick über die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Reanimation. 

Sicher ist nur, dass es dafür Technologien braucht, die wir heutzutage noch nicht in der benötigten Form zur Verfügung haben. Sie sind aber durchaus vorhersehbar: Künstliche Intelligenz, Tissue Engineering, Bioprinting und vor allem auch Nanomedizin machen beeindruckende Fortschritte. Robert Freitas, ein Pionier der Nanotechnologie, hat letztes Jahr sein 700-seitiges Buch “Cryostasis Revival: The Recovery of Cryonics Patients through Nanomedicine” veröffentlicht, in dem er einen möglichen Weg zur Reanimation und Heilung von kryokonservierten Menschen mithilfe von Nanorobotern skizziert.21 Eine Zusammenfassung seines Buches findet sich hier

Herausforderungen bei der Wiederbelebung kryokonservierter Menschen

Beim Aufwärmen gibt es insbesondere drei Probleme zu lösen: einerseits die Toxizität des Kryoprotektors und andererseits die Bildung von Eiskristallen. Des Weiteren muss das Gewebe gleichmäßig erwärmt werden. Wird der Körper einfach so erwärmt, verflüssigt sich der Kryoprotektor und schädigt aufgrund seiner Toxizität über der Glasübergangstemperatur die Zellen. Um das zu verhindern, muss der Kryoprotektor vor der Wiedererwärmung durch Blut ersetzt werden. Dann kommt es allerdings zu einem seltsamen Phänomen namens Rekristallisation: Während des Aufwärmprozesses können sich Eiskristalle neu bilden und das Gewebe schädigen. Die einzige Möglichkeit ist daher, den Körper so schnell aufzutauen, dass sich kein Eis bilden kann. Dafür fehlt uns momentan noch die nötige Technologie.

Nanowarming – magnetische Nanopartikel für gleichmäßige Erwärmung

Forscher schaffen es mittlerweile wiederholt, einzelne Organe wie Nieren zu kryokonservieren und schnell sowie einheitlich genug aufzuwärmen, um sie funktionsfähig zu halten. Eine Methode, die dafür angewandt wird, ist Nanowarming: magnetische Nanopartikel, die zusammen mit dem Kryoprotektor eingeführt werden. Durch Hochfrequenzfelder können wir diese Nanopartikel anregen, was zu einer schnellen und gleichmäßigen Erwärmung führt. 

Der Artikel “Vitrification and Nanowarming of Kidneys” zeigt ein erfolgreiches Experiment zum Nanowarming an einer Rattenniere.22 Während des Experiments haben die Forscher Rattennieren mit einer kryoprotektiven Lösung und mit Siliziumdioxid beschichteten Eisenoxid-Nanopartikeln (sIONPs). Danach haben sie die Nanopartikel durch Anlegen eines Hochfrequenzfeldes angeregt. Die verglasten Nieren sind erfolgreich erwärmt worden: Die Modellierung zeigt, dass sowohl die Eiskristallbildung als auch die Brüche während dieser Prozesse ausgeblieben sind. Allerdings haben die Forscher Schäden festgestellt, die durch die Toxizität der verwendeten Kryoprotektoren entstanden sind. Was bedeutet, dass wir bessere Kryoprotektoren entwickeln müssen.23 

Bis wir ein Gehirn oder einen ganzen Körper mit Nanowarming erfolgreich auftauen können, liegt also auf jeden Fall noch einiges an Forschungsarbeit vor uns.

Ultraschall zum Erwärmen von Gewebe

Ein anderer Ansatz, der beispielsweise von Ramon Risco verfolgt wird, ist das Erwärmen von Gewebe mittels Ultraschall.24 Dieser Ansatz soll zuerst an C. elegans und anschließend an Nagetieren getestet werden, kann allerdings vermutlich beliebig skaliert werden. Mehr dazu erfährst du bald im Beitrag über für Kryonik relevante aktuelle Forschung!

Für eine erfolgreiche Wiederbelebung sind also noch sehr viele Probleme zu lösen. Jedoch: Zeit spielt so gut wie keine Rolle, da es kein Verfallsdatum für die Kryokonservierung gibt. Die Aufbewahrung läuft unbegrenzt (ohne zusätzliche Kosten) und die Wissenschaft schreitet immer weiter voran.

 

Quellen:

  1. https://en.longevitywiki.org/wiki/Information_theoretic_death
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_B%C3%A5genholm
  3. Hossmann KA, Sato K. Recovery of neuronal function after prolonged cerebral ischemia. Science 1970 Apr 17; 168(3929): 375-6. doi: 10.1126/science.168.3929.375.
  4. Hossmann KA, Schmidt-Kastner R, Grosse Ophoff B. Recovery of integrative central nervous function after one hour global cerebro-circulatory arrest in normothermic cat. J Neurol Sci 1987 Feb; 77(2-3): 305-20. doi: 10.1016/0022-510x(87)90130-4.
  5. Dai J, Swaab DF, Buijs RM. Recovery of axonal transport in “dead neurons”. Lancet 1998 Feb 14; 351(9101): 499-500. doi: 10.1016/S0140-6736(05)78689-X.
  6. de Wolf A, Phaedra C, Perry RM, Maire M. Ultrastructural Characterization of Prolonged Normothermic and Cold Cerebral Ischemia in the Adult Rat. Rejuvenation Res 2020 Jun; 23(3): 193-206. doi: 10.1089/rej.2019.2225.
  7. https://www.cryonicsmonitoring.org/review-post/review-alcor-check-in-app | https://www.cryonicsmonitoring.org/review-post/review-ci-check-in-app
  8. https://www.cryonicsmonitoring.org/review-post/tomorrow-bio-monitoring-app
  9. https://www.cryonicsmonitoring.org/
  10. Haneda K, Thomas R, Sands MP, Breazeale DG, Dillard DH. Whole body protection during three hours of total circulatory arrest: an experimental study. Cryobiology 1986 Dec; 23(6): 483-94. doi: 10.1016/0011-2240(86)90057-x.
  11. Taylor MJ, Bailes JE, Elrifai AM, Shih TS, Teeple E, Leavitt ML, Baust JC, Maroon JC. Asanguineous whole body perfusion with a new intracellular acellular solution and ultraprofound hypothermia provides cellular protection during 3.5 hours of cardiac arrest in a canine model. ASAIO J 1994 Jul-Sep; 40(3): M351-8. doi: 10.1097/00002480-199407000-00022.
  12. https://www.bbc.com/news/business-43259902
  13. Lemler J, Harris SB, Platt C, Huffman TM. The arrest of biological time as a bridge to engineered negligible senescence. Ann N Y Acad Sci 2004 Jun; 1019: 559-63. doi: 10.1196/annals.1297.104.
  14. https://www.cryonicsarchive.org/library/complete-list-of-alcor-cryopreservations/ct-scan-a-1002/
  15. https://www.cryonicsarchive.org/library/faq-technical-questions/#fracturing
  16. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2011/02/08/wie-das-gehirn-erinnerungen-speichert 
  17. Vita-More N, Barranco D. Persistence of Long-Term Memory in Vitrified and Revived Caenorhabditis elegans. Rejuvenation Res 2015 Oct; 18(5): 458-63. doi: 10.1089/rej.2014.1636.
  18. Canatelli-Mallat M, Lascaray F, Entraigues-Abramson M, Portiansky EL, Blamaceda N, Morel GR, Goya RG. Cryopreservation of a Human Brain and Its Experimental Correlate in Rats. Rejuvenation Res 2020 Dec; 23(6): 516-525. doi: 10.1089/rej.2019.2245.
  19. https://www.tomorrow.bio/post/can-cryopreservation-store-memories 
  20. https://www.fiercebiotech.com/research/restoring-neurons-to-preserve-memory-after-heart-attack-or-stroke
  21. https://www.amazon.de/Cryostasis-Revival-Recovery-Cryonics-Nanomedicine/dp/099681535X
  22. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/advs.202101691
  23. https://www.tomorrow.bio/post/recent-scientific-articles-cryopreservation
  24. https://www.youtube.com/watch?v=GZkLBauiLL8 

 

Weiterführende Quellen:

Autoren: Moritz Pohl, korrekturgelesen von Sandra Borst