Schätzen wir das Leben nicht gerade deshalb, weil es vergänglich ist?
Befürworter des Alterns sagen, es brauche immer einen Gegensatz wie Trauer zu Freude, Misserfolg zu Erfolg, Regen zu Sonne oder Nacht zu Tag, um eine bestimmte Sache wertvoll zu machen. Deshalb liege der Wert des Lebens in seiner Vergänglichkeit. Jedoch: Das Leben gibt uns erst die Möglichkeit, diese Gegensätze wahrzunehmen. Ohne das Leben sind diese Gegensätze – wie alles andere – für uns bedeutungslos. Da wir, wenn wir nicht mehr am Leben sind, unseren Zustand nicht bemerken (und wir zumindest bisher dann auch nicht wieder lebendig werden), liegt hier auch kein solcher Gegensatz vor. Um das Leben aufgrund des Gegensatzes Tod wertschätzen zu können, müssten wir den Tod und das Leben abwechselnd erleben (wie zum Beispiel Schlechtwetter und Sonne), was aber aus den genannten Gründen nicht möglich ist.
Das akzeptiert sogar noch die Annahme, dass wirklich erst der Gegensatz eine Sache wertvoll macht, und wir würden mit dieser Annahme sehr vorsichtig sein. Aus unserer Sicht wird beispielsweise Freude nicht dadurch wertvoll, dass es Trauer gibt, sondern sie ist bereits an sich wertvoll.
Um die Frage zu beantworten, sollten wir uns fragen, was der Grund dafür ist, dass wir unser Leben heute wertschätzen. Warum schätzt ihr eure Lieblingsspeise, ein bestimmtes Buch, Sonnenschein, Freundschaften, Liebesbeziehungen – oder was es auch immer in eurem Fall ist? Unsere starke Vermutung ist: weil euch diese Dinge gefallen.
Wir schätzen das Leben und seine Freuden nicht, weil wir wissen, dass es nach gegenwärtigem Stand in spätestens ein paar Jahrzehnten vorbei sein wird und wir deshalb irgendwann nicht mehr Eis essen, schwimmen gehen oder mit geliebten Menschen zusammen sein können, sondern weil wir gerne leben und bestimmte Dinge oder Tätigkeiten mögen.