Wenn wir wissen, dass unsere Zeit nicht mehr begrenzt ist – haben wir dann noch die Motivation, überhaupt irgendwas zu machen?

Ein drastisch verlängertes Leben, in dem man für alles potenziell unbegrenzt viel Zeit hat: Führt das nicht dazu, dass Menschen früher oder später ihre Motivation verlieren, überhaupt irgendetwas zu tun, da sie schließlich alles immer wieder in die Zukunft aufschieben können? Würden wir ohne den Druck unserer Sterblichkeit nicht alle nur noch prokrastinieren und einen Tag nach dem anderen absitzen?

Gegenfrage: Ist der einzige Grund, warum Menschen heute etwas tun, sich anstrengen oder sich für etwas Mühe geben, der, dass ihr Leben nach heutigem Stand zeitlich begrenzt ist? Oder handeln sie nicht vielleicht aus Interesse, Leidenschaft, Selbstverständlichkeit, Pflicht, Notwendigkeit oder Großzügigkeit heraus? Seid ihr eine Beziehung eingegangen oder in euren Job eingestiegen, weil ihr mit Sorge realisiert habt, dass euch nur noch ein paar Jahrzehnte Lebenszeit bleiben?

Ein Kleinkind hat noch kein realistisches Todeskonzept entwickelt und ist sich somit der Endlichkeit seines Lebens noch nicht bewusst 1. Dennoch sitzt es, wie Eltern bestätigen können, den Tag in der Regel nicht teilnahmslos ab, sondern erkundet seine Umgebung mit Begeisterung.

Genauso wie ein Kleinkind würde auch ein faszinierter Wissenschaftler oder ein passionierter Künstler nichts mehr lieben, als potenziell unbegrenzte Zeit zu haben, sich dem Studium dessen widmen zu können, was ihn so sehr begeistert. Er sollte keine weitere Motivation dafür benötigen, und schon gar nicht den Gedanken daran, dass er irgendwann sterben wird.

Selbstverständlich wird es, wie heute, auch in Zukunft Dinge geben, die schlicht und einfach erledigt werden müssen, obwohl niemand Lust darauf hat. Genauso aber werden die extrinsischen Anreize dafür bleiben, die es heute gibt – wie etwa Fristen, eine drohende Kündigung, eigene Bedürfnisse, Geld und dutzende andere. Die bislang feste Begrenzung des menschlichen Lebens durch das Altern ist jedenfalls, wie aus den genannten Beispielen klar werden sollte, sicherlich kein Grund dafür, dass Menschen heute unangenehme Aufgaben hinter sich bringen.

 

 

  1. Panagiotaki G, Hopkins M, Nobes G, Ward E, Griffiths D. Children’s and adults‘ understanding of death: Cognitive, parental, and experiential influences. J Exp Child Psychol 2018 Feb, 166: 96-115. doi: 10.1016/j.jecp.2017.07.014. PMID: 28888195.