Werden wir dann nicht in ständiger Angst vor Unfällen leben und alle Risiken meiden? Werden wir nicht auf vieles verzichten müssen?

Es kann durchaus sein, dass wir in einer alterungslosen Gesellschaft in vielen Lebensbereichen achtsamer handeln und uns besser um unsere Umwelt kümmern werden, um auch in ferner Zukunft noch eine lebenswerte Welt bewohnen zu können. Diese Entwicklung könnte mittelfristig dazu führen, dass die Politik Gesetze verabschieden wird, die ein verantwortungsvolleres Verhalten gegenüber unserer Mitwelt vorschreiben beziehungsweise ein unverantwortliches strenger bestrafen. Im Moment fürchten viele Menschen die Folgen ihres klimaschädlichen Verhaltens nicht, weil sie denken, dass sie diese ohnehin nicht mehr miterleben werden. Das würde sich mit dem Sieg über das Altern ändern.

Dass wir allerdings in einer Gesellschaft landen werden, in der wir uns aus Angst jeden Tag vor allen möglichen Risiken regelrecht isolieren oder alles, was in irgendeiner Art und Weise gefährlich sein könnte, verboten ist, ist sehr unwahrscheinlich.

Erstens könnten Menschen, sobald umfassende Schadensreparaturtherapien zur Verfügung stehen, die den Körper vollständig regenerieren können, sogar ohne Probleme einen sehr viel ungesünderen Lebensstil als in einer alternden Gesellschaft pflegen, da sie im Hinblick auf ihre Gesundheit nicht mehr so viel zu bedenken hätten. Der Irrtum, wir müssten für die gesunde Lebensverlängerung auf alle potenziell gesundheitsschädlichen Dinge oder Aktivitäten verzichten, hat sogar einen eigenen Namen – „Crème-Brûlée-Fehler“ (engl. crème brûlée error) 1. Wenn Maschinen ausreichend gründlich gewartet und repariert werden, macht es nichts aus, wenn sie sich dazwischen stärker abnutzen – die Reparatur muss nur vermehrt erfolgen. Menschen könnten sich also nach dem Sieg über das Altern oft ungesund ernähren, sie müssten die Therapien dann lediglich früher und häufiger in Anspruch nehmen als andere. Zweitens gibt es bei Tätigkeiten, die ein Risiko für die körperliche Unversehrtheit des Tätigen beinhalten, immer zwei Möglichkeiten: a) die Tätigkeit nicht auszuführen und b) sie durch Technologie weniger risikoreich zu machen. Letzteres sehen wir unter anderem an der gegenwärtigen Entwicklung autonomer Fahrzeuge. Alterungslosigkeit wird also eher dazu führen, dass solche Entwicklungen schneller passieren, und nicht dazu, dass niemand mehr das Haus verlässt, nur um keinen Unfall zu erleiden.

 

 

  1. de Grey ADNJ. Physical resilience and aging: correcting the Tithonus error and the crème brûlée error. In: Prem S. Fry und Corey L. M. Keyes (Hrsg.): New Frontiers in Resilient Aging: Life-Strengths and Well-Being in Late Life. Cambridge University Press, Cambridge 2010, ISBN 978-0-521-50985-5.