Kryonik: Kryoprotektoren zur Vitrifizierung

Kryoprotektoren sind Flüssigkeiten, die biologisches Material vor Gefrierschäden schützen – zum Beispiel durch Kristallisation. Sie funktionieren ähnlich wie Frostschutzmittel, das wir bei Minusgraden ins Auto geben, um den Gefrierpunkt des Wassers zu senken. 

Einige arktische und antarktische Tiere (z. B. Insekten, Fische oder Frösche) stellen Kryoprotektoren (Frostschutzmittel wie Glycerin oder sogenannte Frostschutzproteine) in ihren Körpern her, um Gefrierschäden durch die kalten Wintertemperaturen zu vermeiden. 

Warum braucht es für die Vitrifizierung Kryoprotektoren?

Das Einfrieren von Wasser im Körper verursacht zwei Arten von Schäden: mechanische und chemische. Die mechanischen Schäden haben wir in unseren vergangenen Beiträgen schon angesprochen: Sie entstehen dadurch, dass sich scharfe Eiskristalle bilden und Zellmembranen oder anderes Gewebe durchschneiden.

Zusätzlich treten aber auch noch chemische Schädigungen auf. Normalerweise ist das Wasser in einem lebenden Organismus Teil einer Lösung, die aus vielen verschiedenen Molekülarten besteht. Wenn die Wassermoleküle gefrieren, suchen sie sich gegenseitig und bilden reines gefrorenes Wasser, das alle anderen Moleküle aus dem Eis verdrängt. Dies führt zu einer hohen Konzentration von schädlichen gelösten Stoffen in dem verbleibenden flüssigen Wasser. Aufgrund dessen ist die Vitrifizierung (Ersetzen des Blutes mit einem Kryoprotektor, der beim Abkühlen einen glasartigen Zustand bildet) seit über 20 Jahren in der Kryokonservierung von Organen und in der Kryonik Standard.

 

Geschichte der Kryoprotektoren

Bis zur Jahrtausendwende haben Kryoniker Glycerin als Kryoprotektor eingesetzt. Glycerin ist allerdings ziemlich giftig für unsere Zellen und nicht dazu geeignet, um Organe oder gar einen ganzen Körper zu vitrifizieren. Die Alcor Life Extension Foundation ist deshalb 2001 zu B2C gewechselt, einer besonders konzentrierten Form des Kryoprotektors VM3. VM3 ist damals bereits gängigerweise in der Vitrifizierung von Eizellen und Nierenrinde der Maus zum Einsatz gekommen. Darüber hinaus hat VM3 die geringste Toxizität bei der Vitrifizierung des Hippocampus (Teil des Gehirns) von Ratten gezeigt. 2005 ist ein erneuter Wechsel zum Kryoprotektor M22 erfolgt, den die Organisation bis heute anwendet – weiter unten mehr dazu.

Kryoprotektoren: Zusammensetzung und Funktionsweise

Jeder moderne Kryoprotektor besteht aus einer Mischung von durchdringenden und nicht durchdringenden Chemikalien. Durchdringende Chemikalien dringen ins Innere der Zelle ein und verhindern dort die Eisbildung. Nicht durchdringende Chemikalien vermeiden die Bildung von Eis zwischen den Zellen. Das passiert, indem sie Wasserstoffbrückenbindungen mit den Wassermolekülen eingehen und so verhindern, dass sich diese zu einem Eisgitter organisieren.

Durchdringende und nicht durchdringende Chemikalien

Die durchdringenden Chemikalien werden regelmäßig zusammen mit den nicht durchdringenden Chemikalien eingesetzt, da sich Eis eher extrazellulär als intrazellulär bildet (das Wasser fließt aus den Zellen und kristallisiert dann in den Zwischenräumen). Wenn nicht durchdringende Bestandteile vorhanden sind, müssen durchdringende Bestandteile nicht so konzentriert sein. Dies ist für eine hochwertige Kryokonservierung von entscheidender Bedeutung, denn je höher die Konzentration der durchdringenden Chemikalien, desto toxischer der Kryoprotektor. Die richtige Mischung aus durchdringenden und nicht durchdringenden Lösungen kann ein hohes Maß an Schutz bei geringer Toxizität bieten, ohne die Qualität der Verglasung zu beeinträchtigen. Außerdem wissen wir inzwischen, dass man die Toxizität weiter verringern kann, indem man der Mischung sogenannte synthetische Eisblocker hinzufügt. Synthetische Eisblocker (auch SIBs für “synthetic ice blockers”) sind Verbindungen, die das Wachstum von Eiskristallen hemmen. Sind sie Teil des Kryoprotektors, benötigt man weniger toxische Bestandteile, um trotzdem noch eine gute Vitrifizierung zu gewährleisten.

Messmethode für Toxizität von Kryoprotektoren

Kryobiologen haben zudem herausgefunden, dass die allgemeine Toxizität eines Kryoprotektors anhand eines Maßes namens qv* vorhergesagt werden kann. 21st Century Medicine hat die Messmethode auf Grundlage von Tests mit K+- und Na+-Ionen (positiv geladene Kalium- und Natriumatome) an Hasennieren erarbeitet. Die Na+-Konzentration außerhalb einer Zelle ist in der Regel 10-mal höher als innerhalb einer Zelle, während die K+-Konzentration innerhalb einer Zelle in der Regel 20- bis 35-mal höher ist als außerhalb. Das Membranenzym Na/K-ATPase befördert unter Aufwendung eines Moleküls ATP drei Na+-Ionen im Austausch für zwei K+-Ionen, die in eine Zelle eingebracht werden, aus der Zelle hinaus. Wenn die Zellmembran gerissen ist oder wenn eine Zelle nicht mehr in der Lage ist, ATP zu produzieren, verändert sich das K+/Na+-Verhältnis.

File:Natrium-Kalium-Pumpe.svg - Wikimedia Commons

Natrium-Kalium-Pumpe. Bild von Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Natrium-Kalium-Pumpe.svg Lizenz: CC BY-SA 4.0

qv* misst die durchschnittliche Stärke der Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den polaren Gruppen des Kryoprotektors und den Wassermolekülen einer Lösung. Quantitativ stellt qv* die Anzahl der Wassermoleküle pro Volumeneinheit geteilt durch die Anzahl der Mole der polaren Gruppen des Kryoprotektors bei der Mindestkonzentration dar, die für die Vitrifizierung unter standardisierten Bedingungen erforderlich ist. Dieses Maß ermöglicht dadurch die gezielte Herstellung von Lösungen mit möglichst geringer Toxizität.

Derzeit verwendete Kryoprotektoren

Die zwei derzeit hauptsächlich in der Kryonik verwendeten Kryoprotektoren sind M22 (patentiert von dem Unternehmen 21st Century Medicine) und VM1. Während VM1 lediglich für den Prozess des Abkühlens konstruiert ist, haben die Designer von M22 zusätzlich darauf geachtet, die Lösung so wenig toxisch wie möglich zu machen (um Schädigungen beim Auftauen zu minimieren). M22 ist zudem besser erforscht als VM1, allerdings auch deutlich teurer: Die Verwendung kostet einen Betrag im fünfstelligen Bereich, während VM1 nur auf einige hundert Euro kommt. 

Das Cryonics Institute und Tomorrow Biostasis verwenden beide eine von ihnen selbst modifizierte Version von VM1. Tomorrow Biostasis gibt als Grund an, dass das Unternehmen aufgrund des geringeren Preises von VM1 Geld einspart und stattdessen in Logistik, Infrastruktur und Training der Standby-Teams investieren kann, um schneller reagieren zu können. 

Die Alcor Life Extension Foundation verwendet M22, um eine möglichst gute Qualität der Kryokonservierung und den aktuell bestmöglichen Schutz der Gehirnstrukturen zu gewährleisten. 

Interessant ist, dass sowohl M22 als auch VM1 aus denselben Kernkomponenten bestehen: Ethylenglykol und Dimethylsulfoxid (DMSO). M22 enthält zusätzlich Formamid, das in der Gegenwart von DMSO nur eine geringe Toxizität hat.

M22

Der am wenigsten toxische Kryoprotektor, M22, wird seit 2005 vom Patentinhaber 21st Century Medicine an die Alcor Life Extension Foundation lizenziert und weltweit von vielen Laboren zur Kryokonservierung von Gewebeproben verwendet. Seinen Namen hat er davon, dass er bei -22°C in den Patienten eingeführt werden soll. M22 basiert auf der Erkenntnis, dass Dimethylsulfoxid (DMSO) die Toxizität von Formamid neutralisieren kann. Deshalb enthält M22 auch genau gleich viel von den beiden Stoffen. 

M22 enthält zwei Eisblocker – synthetisch hergestellte Polymere, die die Keimbildung von Eis hemmen. Der erste besteht aus Polyvinylalkohol (PVA) und Vinylacetat und wird von 21st Century Medicine unter der Bezeichnung X-1000 verkauft. Der andere, Z-1000 getauft, ist Polyglycerin. Er hemmt spezifisch die Keimbildung, die durch das Bakterium Pseudomonas syringae verursacht wird. Mischungen aus den beiden Eisblockern sind bei der Hemmung der Eisbildung wirksamer als einer der beiden Wirkstoffe allein, was darauf hindeutet, dass sie sich gegenseitig ergänzen, indem sie verschiedene Quellen (bakterielle und nicht bakterielle) der Eisbildung hemmen. Um den Zellstoffwechsel bei niedrigen Temperaturen zu unterstützen und oxidative Schäden sowie Ödeme (Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe) zu verhindern, benötigt M22 zusätzlich eine geeignete Trägerlösung.

M22 bewirkt eine erhebliche Schrumpfung des Gehirns während der Perfusion von Patienten. Tatsächlich kann die zerebrale Dehydrierung ein wichtiger Faktor für die Verglasung des Gehirns sein und sogar geringere Konzentrationen von M22 zur Konservierung des Gehirns ermöglichen. 

Die signifikantesten Fortschritte in der Kryokonservierung wie beispielsweise die erfolgreiche Vitrifizierung, Erwärmung und Transplantation einer Hasenniere im Jahr 2009 sind mit M22 erzielt worden. Allerdings besteht M22 im Gegensatz zu VM1 oder älteren Kryoprotektoren aus acht verschiedenen Komponenten, zusammen mit der Trägerlösung sind es 15. Komponenten wie die Eisblocker haben dazu geführt, dass die Kosten für eine Kryokonservierung bei Alcor die der Konservierung beim Cryonics Institute um ein Vielfaches übersteigen. Das wirft natürlich Fragen zu Kosten und Nutzen auf. 

Die Idee hinter der Verwendung von M22 ist, dass die bessere Vitrifizierung zu einem geringen Bedarf an zukünftigen Reparaturtechnologien und infolgedessen zu einer schnelleren Wiederbelebung führen wird. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das jedoch reine Spekulation. Ein anderer Vorteil bezieht sich auf PR beziehungsweise Marketing: Eine Organisation, die den modernsten Kryoprotektor einsetzt, den auch schon viele Labore außerhalb der Kryonik routinemäßig verwenden, wird von den Leuten auch eher als seriös wahrgenommen.

VM1

VM1 ist vom hauseigenen Kryobiologen des Cryonics Institute, Yuri Pichugin, entwickelt worden – und zwar im Gegensatz zu M22 speziell für Kryonik-Patienten. Der Name steht für “Vitrification Mixture 1”, was bedeutet, dass es der erste von dem Cryonics Institute eingesetzte Kryoprotektor ist, der auch tatsächlich eine Vitrifizierung ermöglicht (also eine Verglasung ohne kristalline Struktur). Eine Übersicht über die Zusammensetzung von VM1 gibt es auf der Webseite des Cryonics Institute.

Die hohe Stabilität und Fähigkeit zur Verglasung von VM1 ist mehrfach belegt. Pichugin hat 20-ml-Glasfläschchen mit 60%-igen und 65%-igen VM1-Lösungen mit einer Rate von nur 0,1°C pro Minute gekühlt und erwärmt und dabei keine Eisbildung beobachtet. 65%-iges VM1 mit homogenisiertem Rattenhirngewebe (also mit Zellaufschluss behandeltem Gewebe) hat nach 14 Tagen bei Trockeneistemperatur (-78,5°C) keine Eiskristalle gezeigt. Und auch große Mengen (zwei Liter) von VM1 sind nach 21 Tagen Trockeneistemperatur noch eisfrei gewesen. 

Da VM1 toxischer als M22 ist, wird es bei damit vitrifizierten Patienten fortschrittlichere Technologien fürs Aufwärmen brauchen als bei Patienten, bei denen M22 zum Einsatz gekommen ist. 

Anders als M22 ist VM1 nicht geeignet, um den ganzen Körper damit zu perfundieren (also zu durchströmen) und zu vitrifizieren. Bei CI-Patienten hat eine Ganzkörperperfusion mit Komponenten von VM1 wie Ethylenglykol zu schweren Ödemen geführt. Deshalb rät das Cryonics Institute derzeit von einer Ganzkörperperfusion ab, um eine optimale Perfusion und Vitrifizierung des Gehirns mit VM1 sicherzustellen.

Genau wie VM1 verursacht auch VM1 ein Schrumpfen des Gehirns. Die Zugabe von Natriumdodecylbenzolsulfonat kann das verhindern. Allerdings verzichten Kryonik-Anbieter zurzeit darauf, weil eine gewisse Schrumpfung wünschenswert ist. Im Falle einer zerebralen Ischämie, also einer verminderten oder fehlenden Durchblutung des Großhirns, die die meisten Kryonik-Patienten erleiden, schafft die Schrumpfung Stabilität und erleichtert die Vitrifizierung

 

Quellen:

Fisetin als wirksames Senolytikum

Fisetin ist ein Flavonoid/Polyphenol/sekundärer Pflanzenstoff. Er ist ein gelber Naturfarbstoff, aber vor allem ist er ein natürlich vorkommendes Senolytikum: 

ein Molekül, das gezielt den Tod (Apoptose) seneszenter, also alter Zellen, auslösen kann.1 Dies kann sowohl altersbedingte Erkrankungen verzögern als auch die Lebensspanne erhöhen.2

 

Warum ist es gesund und „verjüngend“, seneszente Zellen zu beseitigen?

Seneszente Zellen sind Zellen, die sich nicht mehr teilen (als Schutz vor der Entstehung von Krebs), aber resistent gegenüber dem Zelltod sind. Sie senden entzündungsfördernde Botenstoffe aus (SASP), was zu einer Entzündung der umliegenden Zellen und im schlimmsten Fall zur chronischen Entzündung des gesamten Körpers führen und paradoxerweise Krebs fördern kann. Hohe Entzündungswerte schädigen außerdem Gewebe und Organe. Durch das Entfernen von seneszenten Zellen durch Senolytika verringert man die Entzündungswerte und die damit einhergehenden Schädigungen. Im Folgenden wollen wir uns das vielversprechende Senolytikum Fisetin genauer ansehen.

 

Welche gesundheitlichen Vorteile bringt die Einnahme von Fisetin?

Bisher sind sechs Weisen bekannt, auf welche seneszente Zellen gegenüber dem Zelltod resistent werden können (SCAP = Senescence Anti-Apoptotic Pathway). Je nach Zelltyp werden andere Methoden dafür angewandt.

Die meisten Senolytika zielen vermutlich nicht auf alle sechs Wege ab, können also nicht alle Arten seneszenter Zellen abtöten. Es wurde jedoch in einigen Studien gezeigt, dass Fisetin gegen vier der sechs bekannten Arten helfen kann.3,4,5,6 Fisetin hat jedoch keine senolytische Wirkung bei Fibroblasten sowie Vorläuferzellen von Fettzellen gezeigt.

Fisetin als ein sehr wirksames Senolytikum

In einer Studie wurde Fisetin neben anderen Molekülen mit senolytischer Wirkung getestet: Resveratrol, Luteolin, Rutin, Epigallocatechingallat, Kurkumin, Pirfenidon, Myricetin, Apigenin, Catechin und Quercetin. Bei den Tests in vivo an Mäusen und in vitro an menschlichem Fettgewebe hat sich Fisetin bei einer Dosis von 5 μM als das wirksamste Senolytikum herausgestellt. Fisetin wurde daraufhin auch in weiteren, höheren Dosen gestestet.7

Fisetin gegen Krebs

Ablauf der Karzinogenese: Angiogenese, Proliferation,  Metastasierung

Bild von Lecturio: https://www.lecturio.de/artikel/medizin/karzinogenese/ Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0

Die Entstehung von Krebs (Onkogenese) ist ein mehrstufiger Prozess8, der oft mehrere Jahre dauert.9 Die Mehrzahl der krebsbedingten Todesfälle ist auf die Metastasierung des Tumors zurückzuführen. Sobald ein lokalisierter Krebs in andere Körperregionen metastasiert, ist er schwer zu behandeln.10 Deshalb ist es umso wichtiger, möglichst früh den Krebsentstehungsprozess zu unterbinden, sodass es nicht zur Metastasierung kommt.11

Fisetin unterdrückt die Zellvermehrung

Fisetin hat sich als äußerst vielversprechender Kandidat herausgestellt. Ihm wurden anti-proliferative Eigenschaften in menschlichen Prostata-Krebszellen nachgewiesen:12 Fisetin unterdrückt die Zellvermehrung. Wenn Krebs entsteht, sorgt Fisetin also dafür, dass sich die Krebszellen nicht so schnell teilen. 

Fisetin leitet den Zelltod ein

Des Weiteren wurde nachgewiesen, dass Fisetin in einigen Krebszellen die Apoptose induziert.13 Das bedeutet, dass Fisetin den Tod der Krebszelle einleitet. Die sogenannten pro-apoptotischen Eigenschaften lassen sich vermutlich auf mehrere Zellsignalwege zurückführen, die Fisetin hemmen kann. Dazu gehören die NF-κB-, MAPK-, Wnt-, Akt- und mTOR-Signalwege, von denen bekannt ist, dass sie das Überleben und die Ausbreitung von Zellen beeinflussen.

In einer Studie wurde außerdem gezeigt, dass eine Vorbehandlung mit Fisetin die Empfindlichkeit für Strahlen in beispielsweise chemoresistenten humanen Darmkrebszellen erhöhte, was die Wahrscheinlichkeit einer durch die Strahlen ausgelösten Apoptose erhöhte.14 Fisetin könnte also in manchen Fällen in Kombination mit Chemotherapien deren Wirksamkeit erhöhen.

Fisetin verringert oxidativen Stress

Fisetin ist nicht nur selbst als Antioxidans wirksam15, sondern erhöht auch das Level von Glutathion, dem wichtigsten intrazellulären Antioxidans.16

Fisetin gegen Entzündungen

Da Fisetin dafür sorgt, dass seneszente Zellen entfernt werden, die Entzündungsstoffe aussenden, sorgt Fisetin indirekt für geringere Entzündungswerte.17

Fisetin für das Gehirn

Es wird vermutet, dass Fisetin bei neurodegenerativen Erkrankungen helfen kann. Die antioxidativen Eigenschaften von Fisetin schützen die Nervenzellen vor Entzündungen.18

In präklinischen Modellen wurde außerdem gezeigt, dass Fisetin bei der Vorbeugung, der Entwicklung und/oder der Progression mehrerer neurologischer Störungen, darunter Alzheimer-Krankheit, Parkinson-Krankheit, Huntington-Krankheit, Amyotrophe Lateralsklerose, Schlaganfall (ischemisch und hämorrhagisch) und Schädel-Hirn-Trauma sowie bei der Verringerung altersbedingter Veränderungen im Gehirn wirksam ist.19

Positive Wirkungen von Fisetin auf den Stoffwechsel

Es konnte nachgewiesen werden, dass Fisetin sich positiv auf den Stoffwechsel auswirkt: Weniger oxidativer Stress in der Leber sowie niedrigere ALT- und Amylasewerte.20

ALT ist ein Enzym, das hauptsächlich in der Leber vorkommt. Hohe ALT-Werte im Blut können auf Leberschäden oder Lebererkrankungen hinweisen, wie zum Beispiel Leberentzündungen, Leberzirrhose oder Leberkrebs. Niedrige ALT-Werte zeigen daher normalerweise an, dass die Leber gesund und ihre Funktion nicht beeinträchtigt ist.

Amylase ist ein Enzym, das in der Bauchspeicheldrüse und im Speichel produziert wird und dabei hilft, komplexe Kohlenhydrate abzubauen. Hohe Amylase-Werte im Blut können auf Bauchspeicheldrüsenerkrankungen wie eine Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse) hinweisen. Niedrige Werte können auf eine gesunde Funktion der Bauchspeicheldrüse hinweisen.

Was sollte ich bei der Einnahme von Fisetin beachten?

Aktuell sind zwar drei klinische Studien zu Fisetin im Gang, jedoch wurden noch keine Daten dazu veröffentlicht. Dementsprechend gut sollte man sich überlegen, ob und wie man Fisetin einnehmen möchte, vor allem angesichts potenzieller Nebenwirkungen.

Grundsätzlich gibt es zwei Methoden, wie man Fisetin einnehmen kann:

  1. täglich, niedrig dosiert
  2. 2-3 Tage im Monat, hoch dosiert

Das Mayo-Klinik-Protokoll für Fisetin sieht 20mg/kg Körpergewicht für zwei Tage im Monat vor.

Potenzielle Nebenwirkungen von Fisetin

Bei Einnahme von Fisetin…

  • dauerte die Wundheilung länger21
  • stieg die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei der Wundheilung Fibrose entwickelt, also die krankhafte Vermehrung von Bindegewebe21
  • könnte es zur Vergiftung der Leber kommen, wenn die Bioverfügbarkeit von Fisetin nicht hoch ist. Deshalb könnte es wichtig sein, für erhöhte Bioverfügbarkeit zu sorgen.22

In einer Studie wurde außerdem gezeigt, dass seneszente Zellen die Entwicklung von Fibrose bei der Regeneration der Leber verhinderten und dass wenn dies beeinträchtigt wird (z. B. durch Einnahme von Senolytika), dies zu erhöhter Fibrose in der Leber führt.23

Es wurden außerdem Bedenken geäußert, dass es zu Problemen kommen könnte (ähnlich den Problemen beim raschen Zerfall von Tumoren: Tumorlyse-Syndrom24), wenn so viele Zellen auf einmal abgetötet werden. Da der Körper jedoch nur zu ca. 15% aus seneszenten Zellen besteht25 und die Einnahme von Senolytika nur ca. 30%-40% abtötet26, ist das Aufkommen dieser Probleme relativ unwahrscheinlich, insbesondere dann, wenn man Fisetin nicht kontinuierlich, sondern nur für paar Tage im Monat einnimmt (Mayo-Protokoll).

Die Bioverfügbarkeit von Fisetin erhöhen

Die Bioverfügbarkeit von Fisetin ist relativ gering, was schädliche Folgen auf die Leber haben kann. Einige Studien haben jedoch gezeigt, dass sich die Löslichkeit und somit Bioverfügbarkeit von Fisetin durch beispielsweise Co-Kristallisierung mit Koffein oder Formen von Vitamin B3 erhöhen lässt.27 Man darf also hoffen, dass es in paar Jahren Fisetin-Moleküle gibt, die geringere gesundheitliche Risiken mit sich bringen bei gleichzeitig größerer gesundheitlicher Wirkung.

Da Fisetin fettlöslich ist, könnte es hilfreich sein, fettreiche Lebensmittel zusammen mit Fisetin einzunehmen.

Oder Lebensmittel, in denen Fisetin natürlicherweise enthalten ist. Diese Lebensmittel könnten potenziell Stoffe enthalten, die gut mit Fisetin kombinierbar sind:28

  • Erdbeeren: 160μg Fisetin pro Gramm
  • Äpfeln: 26,9μg Fisetin pro Gramm
  • Kakis: 10,6μg Fisetin pro Gramm
  • Zwiebeln: 4,8μg Fisetin pro Gramm
  • Weintrauben: 3,9μg Fisetin pro Gramm
  • Kiwis: 2,0μg Fisetin pro Gramm
  • Pfirsiche: 0,6μg Fisetin pro Gramm

Fazit: Sollte ich Fisetin supplementieren?

Auf einigen Webseiten steht, dass Fisetin bisher keinerlei Nebenwirkungen gezeigt hat. Wir haben versucht, möglichst viele der bekannten oder möglichen Nebenwirkungen zu erläutern, auch wenn wir Fisetin für ein Nahrungsergänzungsmittel mit großem Potenzial halten. Insbesondere Patienten mit Wunden oder Leberproblemen sollten vor einer potenziellen Einnahme ihren Arzt konsultieren.

Quellen:

  1. https://flexikon.doccheck.com/de/Fisetin
  2. Yousefzadeh MJ, Zhu Y, McGowan SJ, Angelini L, Fuhrmann-Stroissnigg H, Xu M, Ling YY, Melos KI, Pirtskhalava T, Inman CL, McGuckian C, Wade EA, Kato JI, Grassi D, Wentworth M, Burd CE, Arriaga EA, Ladiges WL, Tchkonia T, Kirkland JL, Robbins PD, Niedernhofer LJ. Fisetin is a senotherapeutic that extends health and lifespan. EBioMedicine. 2018 Oct; 36:18-28. doi: 10.1016/j.ebiom.2018.09.015. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30279143/ (abgerufen am 6. März 2024)
  3. Pal HC, Sharma S, Elmets CA, Athar M, Afaq F. Fisetin inhibits growth, induces G₂ /M arrest and apoptosis of human epidermoid carcinoma A431 cells: role of mitochondrial membrane potential disruption and consequent caspases activation. Exp Dermatol. 2013 Jul; 22(7): 470-5. doi: 10.1111/exd.12181. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6197652/nihms-488977.pdf (abgerufen am 6. März 2024)
  4. Zhu Y, Doornebal EJ, Pirtskhalava T, Giorgadze N, Wentworth M, Fuhrmann-Stroissnigg H, Niedernhofer LJ, Robbins PD, Tchkonia T, Kirkland JL. New agents that target senescent cells: the flavone, fisetin, and the BCL-XL inhibitors, A1331852 and A1155463. Aging (Albany NY). 2017 Mar 8; 9(3): 955-963. doi: 10.18632/aging.101202. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5391241/pdf/aging-09-955.pdf (abgerufen am 7. März 2024)
  5. Li J, Cheng Y, Qu W, Sun Y, Wang Z, Wang H, Tian B. Fisetin, a dietary flavonoid, induces cell cycle arrest and apoptosis through activation of p53 and inhibition of NF-kappa B pathways in bladder cancer cells. Basic Clin Pharmacol Toxicol. 2011 Feb; 108(2): 84-93. doi: 10.1111/j.1742-7843.2010.00613.x. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/j.1742-7843.2010.00613.x (abgerufen am 7. März 2024)
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  8. https://flexikon.doccheck.com/de/Onkogenese
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  18. Hassan SSU, Samanta S, Dash R, Karpiński TM, Habibi E, Sadiq A, Ahmadi A, Bunagu S. The neuroprotective effects of fisetin, a natural flavonoid in neurodegenerative diseases: Focus on the role of oxidative stress. Front Pharmacol. 2022 Oct 10; 13: 1015835. doi: 10.3389/fphar.2022.1015835. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9589363/ (abgerufen am 7. März 2024)
  19. Maher P. Preventing and Treating Neurological Disorders with the Flavonol Fisetin. Brain Plast. 2021 Feb 9; 6(2): 155-166. doi: 10.3233/BPL-200104. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7990461/ (abgerufen am 7. März 2024)
  20. Yousefzadeh MJ, Zhu Y, McGowan SJ, Angelini L, Fuhrmann-Stroissnigg H, Xu M, Ling YY, Melos KI, Pirtskhalava T, Inman CL, McGuckian C, Wade EA, Kato JI, Grassi D, Wentworth M, Burd CE, Arriaga EA, Ladiges WL, Tchkonia T, Kirkland JL, Robbins PD, Niedernhofer LJ. Fisetin is a senotherapeutic that extends health and lifespan. EBioMedicine. 2018 Oct; 36: 18-28. doi: 10.1016/j.ebiom.2018.09.015. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6197652/pdf/main.pdf (abgerufen am 7. März 2024)
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  22. Sun X, Ma X, Li Q, Yang Y, Xu X, Sun J, Yu M, Cao K, Yang L, Yang G, Zhang G, Wang X. Anti‑cancer effects of fisetin on mammary carcinoma cells via regulation of the PI3K/Akt/mTOR pathway: In vitro and in vivo studies. Int J Mol Med. 2018 Aug; 42(2): 811-820. doi: 10.3892/ijmm.2018.3654. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6034928/pdf/ijmm-42-02-0811.pdf (abgerufen am 7. März 2024)
  23. Krizhanovsky V, Yon M, Dickins RA, Hearn S, Simon J, Miething C, Yee H, Zender L, Lowe SW. Senescence of activated stellate cells limits liver fibrosis. Cell. 2008 Aug 22; 134(4): 657-67. doi: 10.1016/j.cell.2008.06.049. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3073300/pdf/nihms133324.pdf (abgerufen am 7. März 2024)
  24. https://de.wikipedia.org/wiki/Tumorlyse-Syndrom
  25. Herbig U, Ferreira M, Condel L, Carey D, Sedivy JM. Cellular senescence in aging primates. Science. 2006 Mar 3; 311(5765): 1257. doi: 10.1126/science.1122446. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/16456035/ (abgerufen am 7. März 2024)
  26. Zhu Y, Tchkonia T, Pirtskhalava T, Gower AC, Ding H, Giorgadze N, Palmer AK, Ikeno Y, Hubbard GB, Lenburg M, O’Hara SP, LaRusso NF, Miller JD, Roos CM, Verzosa GC, LeBrasseur NK, Wren JD, Farr JN, Khosla S, Stout MB, McGowan SJ, Fuhrmann-Stroissnigg H, Gurkar AU, Zhao J, Colangelo D, Dorronsoro A, Ling YY, Barghouthy AS, Navarro DC, Sano T, Robbins PD, Niedernhofer LJ, Kirkland JL. The Achilles‘ heel of senescent cells: from transcriptome to senolytic drugs. Aging Cell. 2015 Aug; 14(4): 644-58. doi: 10.1111/acel.12344. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4531078/pdf/acel0014-0644.pdf (abgerufen am 7. März 2024)
  27. Sowa M, Slepokura K. Improving solubility of fisetin by cocrystallization. CrystEngComm. 2014 Sep 26; 16: 10592-10601. doi: 10.1039/C4CE01713G. https://www.researchgate.net/publication/266138403_Improving_solubility_of_fisetin_by_cocrystallization (abgerufen am 7. März 2024)
  28. Khan N, Syed DN, Ahmad N, Mukhtar H. Fisetin: a dietary antioxidant for health promotion. Antioxid Redox Signal. 2013 Jul 10; 19(2): 151-62. doi: 10.1089/ars.2012.4901. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3689181/ (abgerufen am 7. März 2024)
  29. https://forever-healthy.atlassian.net/wiki/spaces/ENG/pages/2558941/

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Die auf dieser Website bereitgestellten Informationen dienen ausschließlich zu Informationszwecken und sollten nicht als medizinische Beratung oder Ersatz für professionelle medizinische Betreuung angesehen werden. Es wird dringend empfohlen, vor Beginn einer Behandlung oder der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln oder Medikamenten einen qualifizierten Arzt oder Fachmann zu konsultieren.

Kryonik – Ablauf einer Kryokonservierung

Was passiert mit mir, wenn ich sterbe und vorher einen Kryonik-Vertrag abgeschlossen habe? Die Frage taucht als eine der ersten auf, wenn man vor der Entscheidung steht, ob man einen Kryonik-Vertrag abschließen möchte.

Es hängt von der Todesart und den Umständen ab

Die Antwort hängt von der Todesart und den Umständen ab, unter denen der Patient stirbt. Für den Erfolg der Kryokonservierung ist es zuträglich, an Krebs oder einer anderen Krankheit mit “Vorlaufzeit” zu sterben, um sich auf den Tod vorbereiten zu können. Ungünstiger ist ein plötzlicher und unerwarteter Tod, z. B. durch einen Herzinfarkt. Am schlechtesten ist es, in einem Unfall zu sterben, bei dem das Gehirn schwere Schäden erleidet oder womöglich gar nicht mehr auffindbar ist. 

Zuerst müssen wir uns aber kurz damit beschäftigen, wann Kryokonservierung anfängt – und wie genau der Übergang zwischen Leben und Tod aussieht. 

Sind kryokonservierte Menschen bereits tot?

Die meisten Menschen betrachten den Tod als eine Art Schalter: Eine Person ist entweder definitiv am Leben oder definitiv tot. Diese Sichtweise ist allerdings irreführend.

Der Tod als Prozess

Der Tod ist vielmehr ein Prozess, bei dem immer mehr Zellen (und damit Organe) im Körper langsam durch Sauerstoffmangel absterben. Der rechtliche Tod ist insofern relevant, als dass die Prozedur der Kryokonservierung erst ab diesem Zeitpunkt begonnen werden darf. Dies bedeutet aber nicht, dass die Person in dem Fall unwiederbringlich verschwunden ist oder all ihre Zellen tot sind. Es bedeutet lediglich, dass ein Arzt offiziell erklärt, mit seinem Wissen und dem heutigen Stand der Technologie nichts mehr für die Person machen zu können. 

Tot oder nicht tot? – Der informationstheoretische Tod

Während die Patienten gelagert sind, sind sie zwar nicht am Leben (weil ihr Körper nicht mehr funktioniert), aber auch nicht tot. Endgültig tot ist eine Person erst, wenn die Strukturen, die für ihre Erinnerungen, Persönlichkeit und Identität verantwortlich sind, unwiederbringlich zerstört sind. Diesen Zustand bezeichnen Kryoniker als informationstheoretischen Tod.1 Die kryokonservierten Menschen befinden sich in einer Art Zwischenstadium – vergleichbar mit der Dämmerung zwischen Tag und Nacht. 

Wie unscharf die Grenze zwischen Leben und Tod ist, zeigen Fälle wie der der Schwedin Anna Bågenholm, die 1999 nach drei Stunden klinischem Tod ohne bleibende Schäden wiederbelebt werden konnte.

Stirbt das Gehirn nicht nach vier bis sechs Minuten ohne Sauerstoff?

Heutzutage ist die Annahme weit verbreitet, dass nach vier bis sechs Minuten ohne Sauerstoff der Hirntod eintritt. Das ist so nicht korrekt: Das Gehirn “stirbt” nicht nach vier bis sechs Minuten, weil es dann sofort zerstört wird, sondern aufgrund von Reperfusionsschäden: einer Reihe von zerstörerischen Prozessen, die in so einem Fall paradoxerweise durch die Wiederbelebung entstehen – also durch die Wiederherstellung des warmen Blutflusses. Hauptsächlich sind es Entzündungsprozesse, die die Blutgefäße verstopfen und verhindern, dass die Gehirnzellen mit Sauerstoff versorgt werden, was dann tatsächlich zum Tod der Zellen führt (allerdings über einen Zeitraum von mehreren Stunden, nicht Minuten). 

Experimente, die den Hirntod hinauszögern

Schon heute können experimentelle Behandlungen die Zeitspanne, die bei Kreislaufstillstand ohne Hirnschädigung überlebt werden kann, auf über zehn Minuten verlängern. Die wichtigste davon ist künstliche Hypothermie – die Verringerung der Körpertemperatur um einige Grad oder die Verwendung von gekühltem Blut. Mit jedem Temperaturabfall um zehn Grad sinkt der Stoffwechselbedarf um 50%. Das ist unter anderem der Grund, warum Neurochirurgie das kann, was sie kann – oder warum Bypass-Operationen möglich sind. Dabei werden die Patienten auf 34°C oder 35°C gekühlt, um Stoffwechselprozesse zu verlangsamen und das Gehirn in der verwundbaren Phase zu schützen. Weitere Maßnahmen, die die Zerstörung des Gehirns hinauszögern können, sind die Öffnung verstopfter Gefäße durch Erhöhung des Blutdrucks, Blutverdünnung, die Vermeidung einer übermäßigen Sauerstoffanreicherung und die medikamentöse Hemmung des Zelltods.

In einigen Tierstudien sind die Gehirne der Tiere sogar nach 16 Minuten ohne neurologische Defizite zurückgeholt worden. Forscher am Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung (damals Max-Planck-Institut für neurologische Forschung) haben es in ein paar Studien sogar geschafft, isolierte Affen- und Katzengehirne nach einer vollen Stunde Herzstillstand wieder zur normalen elektrischen Funktion zu bringen.3 Dasselbe haben sie später mit ganzen Katzen gemacht – allerdings mit mäßigem neurologischem Defizit.4 Und es wird sogar noch unglaublicher: Nervenzellen können noch nach acht Stunden Herzstillstand wieder funktionsfähig werden (also wieder zum Energiestoffwechsel und axonalen Transport in der Lage sein).5 Erkennbare Gehirnzellstrukturen und die neuronale Vernetzung bleiben sogar noch viel länger bestehen.6 

Wann hilft Kryonik nicht mehr?

Ab welcher Zeitspanne nach dem klinischen Tod kann Kryonik dann nicht mehr helfen (beziehungsweise wann tritt der informationstheoretische Tod ein)? Diese Frage können wir mit unserem heutigen Wissensstand nicht eindeutig beantworten, vor allem, da wir nicht wissen, welche Technologien die Zukunft mit sich bringt. Aus diesem Grund wünschen sich viele Mitglieder, unabhängig von der Verzögerung oder dem Schweregrad der Schädigung kryokonserviert zu werden. Jeder, der einen Kryonik-Vertrag abschließt, kann jedoch darin seine Bedingungen festhalten, unter denen er nicht mehr konserviert werden möchte.

Der Idealfall für Kryonik: ein vorhersehbarer Tod

Der Idealfall ist ein vorhersehbarer Tod, beispielsweise an Krebs, sodass ein Standby-Team vor Ort ist und direkt nach der rechtlichen Todeserklärung mit dem Verfahren loslegen kann. In solchen Fällen bleiben der Körper und das Gehirn mit Abstand am besten erhalten. Alcor empfiehlt deshalb unheilbar kranken Mitgliedern, vor ihrem rechtlichen Tod in die entsprechende Gegend zu ziehen. Sie stellen dafür eine Umzugshilfe von bis zu 10 000 US-Dollar zur Verfügung. Außerdem rät die Organisation, sie über medizinische Diagnosen zeitnah zu informieren und sie rechtzeitig zu benachrichtigen, wenn eine Operation geplant ist.

Es kommt darauf an, den Tod rechtzeitig zu bemerken

Kryoniker bekommen meistens ein Armband oder eine Halskette mit Anweisungen und einer Telefonnummer. So soll die Person, welche den Verstorbenen in einem ungünstigeren Fall auffindet, wissen, dass sie den Anbieter benachrichtigen muss. Außerdem stellt der Anbieter für gewöhnlich mehrere Karten mit den Kontaktdaten zur Verfügung, die Kryoniker ihren Angehörigen geben können. 

Alcor und CI haben Apps entwickelt, mit denen sie für einen täglichen Anruf zu einer vorher festgelegten Uhrzeit sorgen können, um sich zu vergewissern, dass es einem Mitglied gut geht und zu prüfen, ob es irgendwelche gesundheitlichen Veränderungen gibt.7 Nimmt das Mitglied nach mehreren Versuchen immer noch nicht ab, wird eine Kontaktperson alarmiert, zum Beispiel ein Familienmitglied oder Nachbar. 

Geräte zur frühzeitigen Erkennung des Todes

Die Organisationen haben Pulsmesser und andere Geräte im Auge, die für eine rasche Benachrichtigung sorgen könnten. Tomorrow Biostasis entwickelt gerade eine App, die mit Wearables (z. B. Smartwatches) kompatibel ist und das Unternehmen sofort verständigen kann, wenn lebenswichtige Funktionen aussetzen.8 Ebenfalls erfolgreich im Einsatz ist eine Technik namens Ballistokardiographie: Bewegungssensoren, die bei sehr alten oder chronisch kranken Menschen unter die Bettmatratze gelegt werden und die mechanischen Schwingungen des Körpers messen, die durch den Herzschlag oder auch die Atmung verursacht werden. Auf diese Weise kann das System einen Notfall in der Nacht meist innerhalb von weniger als drei Minuten erkennen.

Die Non-Profit-Organisation Cryonics Monitoring gibt einen Überblick über bisher entwickelte Überwachungssysteme für Kryoniker und bewertet diese.9 

Kryonik-Ablauf im Idealfall

Der Ablauf von Kryonik: Vom Tod hin zur Kühlung, Vitrifizierung und der Aufbwahrung in Thermobehältern

Wie läuft der Prozess der Kryokonservierung nun genau ab? Wenn der Idealfall vorliegt und das Team sofort nach der Todeserklärung mit der Prozedur beginnen kann, werden zunächst der Blutkreislauf und die Atmung mit einem Herz-Lungen-Wiederbelebungsgerät (HLR) künstlich wiederhergestellt. Dieses funktioniert mit unter Druck stehendem Sauerstoff und setzt den Kreislauf sehr viel besser in Gang als eine manuelle Herz-Lungen-Wiederbelebung. 

Möglichst schnelle Kühlung

Was in allen Fällen passiert: Der Patient wird mit Eiswürfeln bedeckt und mit kaltem Wasser begossen, um den Körper möglichst schnell zu kühlen. Anschließend bekommt er zellschützende, gerinnungshemmende, antibiotische und anästhetische Medikamente verabreicht. Beispiele sind Natriumcitrat (schützt Nervenzellen), Heparin (gerinnungshemmend), Minocyclin (antibiotisch) und Propofol (anästhetisch, schützt ebenfalls Nervenzellen). Nun kann das Kryonik-Team den Patienten im Eiswasserbad zur Einrichtung transportieren, wo sie ihn für die weitere Abkühlung vorbereiten. 

Einsatz von Konservierungslösung bei weitem Transport

Ist der Patient weit von der Kryonik-Einrichtung entfernt und muss per Flugzeug dorthin gebracht werden, wird sein Blut durch eine Konservierungslösung ersetzt, deren Temperatur ein paar Grad über dem Gefrierpunkt liegt und die die Zellen im Körper am Leben hält. Diese Behandlung ähnelt denen, die von Transplantationschirurgen angewandt werden, um Organe lebensfähig zu halten, die zur Transplantation durch das ganze Land transportiert werden – mit dem Unterschied, dass sie hier am ganzen Körper zum Einsatz kommen. Relativ unbekannt ist, wie stark die Überlebensfähigkeit bei kalten Temperaturen dadurch erhöht werden kann: Studien zeigen, dass ganze Tiere bis zu drei Stunden Lagerung im Eis mit der heute verfügbaren Technologie überleben können.10 Sie können sogar noch längere Zeiträume überleben, wenn die Konservierungslösung kontinuierlich zirkuliert wird.11

Alcor wendet in einigen solchen Fällen auch ein Verfahren namens FCP (Field Cryoprotection) an. Dabei wird zumindest der Kopf bereits am Todesort vitrifiziert (siehe nächsten Absatz) und der Patient bei -79°C auf Trockeneis statt im Eiswasser zur Einrichtung gebracht.

Vitrifizierung – künstlicher Blutkreislauf zum Einbringen des Kryoprotektors

In der Kryonik-Einrichtung wird zunächst ein künstlicher Blutkreislauf hergestellt. Dafür werden entweder die Halsgefäße geöffnet (um vor allem das Gehirn möglichst gut zu erhalten) oder mittels einer Öffnung des Brustkorbs Schläuche in die großen Gefäßabgänge des Herzens eingeführt. Dann läuft eine zellschützende Lösung über eine Schlagader in den Körper und treibt das Blut über eine Vene aus. In steigender Konzentration wird der Lösung der Kryoprotektor (eine Flüssigkeit, die verhindert, dass sich beim Kühlen Eiskristalle bilden, die das Gewebe zerreißen) zugesetzt, bis er etwa 70% des Gemisches ausmacht. So wird sichergestellt, dass der Kryoprotektor auch fast alle Zellen erreicht und den Körper zuverlässig vitrifiziert. 

Ist eine eisfreie Kryokonservierung des Gehirns möglich?

Einige Wissenschaftler haben behauptet, dass eine eisfreie Kryokonservierung des Gehirns nicht möglich ist, weil der Kryoprotektor nicht alle Teile des Gehirns erreicht.12 Für die Vitrifizierung werden jedoch genau dieselben Gefäße genutzt, die das Gehirn ständig mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Die eisfreie Konservierung des Gehirns ist sowohl im Labor13 als auch in einigen ausgewählten Fällen von kryokonservierten Mitgliedern14 nachgewiesen. Zwar verzögert die Blut-Hirn-Schranke die Aufnahme des Kryoprotektors. Die Folge davon ist aber, dass dem Gehirn durch das osmotische Ungleichgewicht, welches während der Einführung des Kryoprotektors entsteht, Wasser entzogen wird. Es wird dadurch also noch widerstandsfähiger gegen die Bildung von Eiskristallen. Die Dehydrierung des Gehirns scheint allerdings zu ultrastrukturellen Veränderungen zu führen (Veränderungen der Feinstruktur des Gehirns, die nur mit Elektronenmikroskopie darstellbar sind), was tatsächlich ein noch ungelöstes Problem der Kryonik ist. In “guten” Kryonik-Fällen kann eine Dehydrierung von bis zu 50% des gesamten Hirnvolumens beobachtet werden. Momentan wissen wir noch nicht, bis zu welchem Grad es der Flüssigkeitsmangel noch erlauben wird, die Funktion des Gehirns in Zukunft wiederherzustellen – sofern dies überhaupt möglich sein wird.

Schrittweise Kühlung des Patienten 

Der Ersatz des Blutes durch den Kryoprotektor dauert mehrere Stunden und läuft bei einer Körpertemperatur von ca. 0°C ab. Danach kommen die Patienten in eine Kühlbox und werden computergesteuert gekühlt: Flüssiger Stickstoff wird eingespritzt und verdampft, ein Gebläse lässt das Stickstoffgas bei knapp -125°C zirkulieren. Ziel ist es, alle Teile des Patienten so schnell wie möglich unter -124°C (die Temperatur, bei der der Kryoprotektor fest wird und in einen glasartigen Zustand übergeht) abzukühlen, um jegliche Eisbildung zu vermeiden. Dies dauert etwa drei Stunden, an deren Ende der Patient “verglast” ist (einen stabilen eisfreien Zustand erreicht hat). Der Patient wird dann über einen Zeitraum von mehreren Tagen mit derselben Technik weiter auf -196°C abgekühlt.

Abkühlung lässt schädliche Brüche im Gewebe entstehen

Tatsächlich würden prinzipiell auch schon die -125°C reichen: Sobald der Kryoprotektor fest ist, sind alle Stoffwechselaktivitäten stillgelegt. -196°C ist allerdings die Temperatur von flüssigem Stickstoff, der ein sicheres, ungiftiges, billiges und leicht verfügbares Kühlmittel darstellt. Leider verursachen bei der weiteren Abkühlung thermische Spannungen großflächige Brüche im Gewebe (zum Beispiel aufgrund ungleichmäßiger Abkühlungsraten, unterschiedlicher Ausdehnungskoeffizienten von Knochen und Muskeln und so weiter), was ein bisher ungelöstes Problem ist. Wichtig ist, dass diese Brüche keine offenen Verletzungen sind. Ein guter Vergleich ist eine intakte, aber zerbrochene Windschutzscheibe aus Glas. Die Brüche klingen zwar nach einem ernsthaften Problem. Zukünftige Medizin wird sie aber wahrscheinlich gut reparieren können, weil sie keinen nennenswerten Informationsverlust verursachen: Der Schaden tritt auf größerer Ebene auf und zerstört keine wichtigen Strukturen (wie es bei der Eiskristallbildung der Fall wäre). Alcor testet gerade ein neues Lagerungssystem, das mit wärmeren Temperaturen arbeitet, um die Brüche künftig zu umgehen.15 (Einer unserer nächsten Beiträge wird einen neuen Ansatz unter die Lupe nehmen, der dieses Problem von einer völlig anderen Seite adressiert: Heliumpersufflation.) 

Aufbewahrung des Patienten in einem Thermobehälter

Der Patient wird in einem mit flüssigem Stickstoff gefüllten großen Thermobehälter (beispielsweise einem Dewargefäß) aufbewahrt, der jeden Tag kontrolliert wird. Alles, was nötig ist, ist ungefähr einmal pro Woche etwas Stickstoff nachzufüllen. Gelagert wird der Patient kopfüber, um bei einem Unfall mit größerem Stickstoffaustritt möglichst lange den Kopf zu schützen. 

Ein kryokonserviertes Mitglied teilt sich einen Behälter mit drei anderen. Im Falle einer Neurokonservierung, bei der nur das Gehirn in den Kälteschlaf geht, sind es normalerweise um die 45 Gehirne, die zusammen gelagert werden. Die Gehirne bleiben während der Konservierung im Kopf, da dies weniger Risiken birgt.

Für die Kühlung wird keinerlei Strom benötigt – sie wird ausschließlich durch den flüssigen Stickstoff gewährleistet. Das widerlegt auch die Irrtümer, dass ein Stromausfall alles zunichte macht oder durch die Lagerung viele CO2-Emissionen entstehen.

Gehen bei der Kryokonservierung meine Erinnerungen verloren?

Wir können ziemlich sicher sein, dass das nicht der Fall ist. Sehr kurzfristige Erinnerungen (in den letzten 30 Sekunden bis maximal wenigen Minuten) sind lediglich in elektrochemischer Aktivität gespeichert, aber alles, was darüber hinausgeht, bildet körperliche Veränderungen im Gehirn: Veränderungen der Synapsen, des Spiegels bestimmter Neurotransmitter, des Gehalts an Proteinen und so weiter.16

Bleiben diese Veränderungen beim Prozess der Kryokonservierung erhalten? Um das zu testen, haben Forscher im Jahr 2015 eine Studie an dem bekannten Modellorganismus C. elegans (Fadenwurm) durchgeführt. Dafür haben sie eine Methode der sensorischen Prägung verwendet, um das Langzeitgedächtnis des Geruchs in den Würmern zu testen. Nach ihrer Kryokonservierung und Wiederbelebung sind die Würmer dazu in der Lage gewesen, das induzierte Geruchsgedächtnis abzurufen. Die dafür notwendigen Strukturen sind durch das Einfrieren also nicht zerstört worden.17 

2020 haben Wissenschaftler in einer weiteren Studie die Auswirkungen der Kryokonservierung auf das Gehirn einer Frau überprüft, die ihren Körper gespendet hat. Die Ergebnisse haben erneut gezeigt, dass es keinen nachteiligen Effekt auf die Dicke des Hippocampus oder der Großhirnrinde gegeben hat – beides Regionen, die bei der Speicherung von Erinnerungen eine zentrale Rolle spielen.18

Gehirnnebel: Wenn die Erinnerungen verschwommen sind

Was allerdings auftreten könnte, ist ein vorübergehender Zustand namens “Gehirnnebel” oder “brain fog”. Das würde bedeuten, dass die eigenen Erinnerungen zunächst etwas verschwommen sind, während das Gehirn nach der Wiederbelebung langsam wieder alle Funktionen aufnimmt. Kurzzeitiger Gedächtnisverlust und Hirnnebel sind häufige Nebenwirkungen bei Herzinfarktpatienten. Der Grund ist ein vorübergehender Sauerstoffmangel in einem bestimmten Bereich des Hippocampus, der zum Absterben der dortigen Neuronen führt.19 Glücklicherweise arbeiten Wissenschaftler bereits an einer Möglichkeit, die Neuronen in diesem Bereich wiederherzustellen, sodass wir dieses Problem in Zukunft womöglich gar nicht mehr haben werden.20 

Kryonik: Die Wiederbelebung

Nun kommen wir zum herausforderndsten Part: der Wiederbelebung. Niemand kann heutzutage mit Sicherheit sagen, ob es möglich sein wird, die Menschen aus dem flüssigen Stickstoff wieder zum Leben zu erwecken. Dafür sind mehrere Schritte notwendig: Die Todesursache muss geheilt werden, der Patient muss verjüngt werden, das Aufwärmen und Ingangsetzen der Gehirn- und anderer Körperfunktionen muss erfolgreich sein, entstandene Schäden müssen repariert werden. Außerdem müssen wir es schaffen, den Patienten wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Klaus Sames spricht etwas scherzhaft davon, dass man manche ins Leben zurückgeholte Menschen evtl. zuerst in einen Cyberspace bringen wird, der das 21. Jahrhundert simuliert, um keinen Kulturschock auszulösen. Dieser Artikel von Tomorrow Biostasis bietet einen guten Überblick über die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Reanimation. 

Sicher ist nur, dass es dafür Technologien braucht, die wir heutzutage noch nicht in der benötigten Form zur Verfügung haben. Sie sind aber durchaus vorhersehbar: Künstliche Intelligenz, Tissue Engineering, Bioprinting und vor allem auch Nanomedizin machen beeindruckende Fortschritte. Robert Freitas, ein Pionier der Nanotechnologie, hat letztes Jahr sein 700-seitiges Buch “Cryostasis Revival: The Recovery of Cryonics Patients through Nanomedicine” veröffentlicht, in dem er einen möglichen Weg zur Reanimation und Heilung von kryokonservierten Menschen mithilfe von Nanorobotern skizziert.21 Eine Zusammenfassung seines Buches findet sich hier

Herausforderungen bei der Wiederbelebung kryokonservierter Menschen

Beim Aufwärmen gibt es insbesondere drei Probleme zu lösen: einerseits die Toxizität des Kryoprotektors und andererseits die Bildung von Eiskristallen. Des Weiteren muss das Gewebe gleichmäßig erwärmt werden. Wird der Körper einfach so erwärmt, verflüssigt sich der Kryoprotektor und schädigt aufgrund seiner Toxizität über der Glasübergangstemperatur die Zellen. Um das zu verhindern, muss der Kryoprotektor vor der Wiedererwärmung durch Blut ersetzt werden. Dann kommt es allerdings zu einem seltsamen Phänomen namens Rekristallisation: Während des Aufwärmprozesses können sich Eiskristalle neu bilden und das Gewebe schädigen. Die einzige Möglichkeit ist daher, den Körper so schnell aufzutauen, dass sich kein Eis bilden kann. Dafür fehlt uns momentan noch die nötige Technologie.

Nanowarming – magnetische Nanopartikel für gleichmäßige Erwärmung

Forscher schaffen es mittlerweile wiederholt, einzelne Organe wie Nieren zu kryokonservieren und schnell sowie einheitlich genug aufzuwärmen, um sie funktionsfähig zu halten. Eine Methode, die dafür angewandt wird, ist Nanowarming: magnetische Nanopartikel, die zusammen mit dem Kryoprotektor eingeführt werden. Durch Hochfrequenzfelder können wir diese Nanopartikel anregen, was zu einer schnellen und gleichmäßigen Erwärmung führt. 

Der Artikel “Vitrification and Nanowarming of Kidneys” zeigt ein erfolgreiches Experiment zum Nanowarming an einer Rattenniere.22 Während des Experiments haben die Forscher Rattennieren mit einer kryoprotektiven Lösung und mit Siliziumdioxid beschichteten Eisenoxid-Nanopartikeln (sIONPs). Danach haben sie die Nanopartikel durch Anlegen eines Hochfrequenzfeldes angeregt. Die verglasten Nieren sind erfolgreich erwärmt worden: Die Modellierung zeigt, dass sowohl die Eiskristallbildung als auch die Brüche während dieser Prozesse ausgeblieben sind. Allerdings haben die Forscher Schäden festgestellt, die durch die Toxizität der verwendeten Kryoprotektoren entstanden sind. Was bedeutet, dass wir bessere Kryoprotektoren entwickeln müssen.23 

Bis wir ein Gehirn oder einen ganzen Körper mit Nanowarming erfolgreich auftauen können, liegt also auf jeden Fall noch einiges an Forschungsarbeit vor uns.

Ultraschall zum Erwärmen von Gewebe

Ein anderer Ansatz, der beispielsweise von Ramon Risco verfolgt wird, ist das Erwärmen von Gewebe mittels Ultraschall.24 Dieser Ansatz soll zuerst an C. elegans und anschließend an Nagetieren getestet werden, kann allerdings vermutlich beliebig skaliert werden. Mehr dazu erfährst du bald im Beitrag über für Kryonik relevante aktuelle Forschung!

Für eine erfolgreiche Wiederbelebung sind also noch sehr viele Probleme zu lösen. Jedoch: Zeit spielt so gut wie keine Rolle, da es kein Verfallsdatum für die Kryokonservierung gibt. Die Aufbewahrung läuft unbegrenzt (ohne zusätzliche Kosten) und die Wissenschaft schreitet immer weiter voran.

 

Quellen:

  1. https://en.longevitywiki.org/wiki/Information_theoretic_death
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_B%C3%A5genholm
  3. Hossmann KA, Sato K. Recovery of neuronal function after prolonged cerebral ischemia. Science 1970 Apr 17; 168(3929): 375-6. doi: 10.1126/science.168.3929.375.
  4. Hossmann KA, Schmidt-Kastner R, Grosse Ophoff B. Recovery of integrative central nervous function after one hour global cerebro-circulatory arrest in normothermic cat. J Neurol Sci 1987 Feb; 77(2-3): 305-20. doi: 10.1016/0022-510x(87)90130-4.
  5. Dai J, Swaab DF, Buijs RM. Recovery of axonal transport in “dead neurons”. Lancet 1998 Feb 14; 351(9101): 499-500. doi: 10.1016/S0140-6736(05)78689-X.
  6. de Wolf A, Phaedra C, Perry RM, Maire M. Ultrastructural Characterization of Prolonged Normothermic and Cold Cerebral Ischemia in the Adult Rat. Rejuvenation Res 2020 Jun; 23(3): 193-206. doi: 10.1089/rej.2019.2225.
  7. https://www.cryonicsmonitoring.org/review-post/review-alcor-check-in-app | https://www.cryonicsmonitoring.org/review-post/review-ci-check-in-app
  8. https://www.cryonicsmonitoring.org/review-post/tomorrow-bio-monitoring-app
  9. https://www.cryonicsmonitoring.org/
  10. Haneda K, Thomas R, Sands MP, Breazeale DG, Dillard DH. Whole body protection during three hours of total circulatory arrest: an experimental study. Cryobiology 1986 Dec; 23(6): 483-94. doi: 10.1016/0011-2240(86)90057-x.
  11. Taylor MJ, Bailes JE, Elrifai AM, Shih TS, Teeple E, Leavitt ML, Baust JC, Maroon JC. Asanguineous whole body perfusion with a new intracellular acellular solution and ultraprofound hypothermia provides cellular protection during 3.5 hours of cardiac arrest in a canine model. ASAIO J 1994 Jul-Sep; 40(3): M351-8. doi: 10.1097/00002480-199407000-00022.
  12. https://www.bbc.com/news/business-43259902
  13. Lemler J, Harris SB, Platt C, Huffman TM. The arrest of biological time as a bridge to engineered negligible senescence. Ann N Y Acad Sci 2004 Jun; 1019: 559-63. doi: 10.1196/annals.1297.104.
  14. https://www.cryonicsarchive.org/library/complete-list-of-alcor-cryopreservations/ct-scan-a-1002/
  15. https://www.cryonicsarchive.org/library/faq-technical-questions/#fracturing
  16. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2011/02/08/wie-das-gehirn-erinnerungen-speichert 
  17. Vita-More N, Barranco D. Persistence of Long-Term Memory in Vitrified and Revived Caenorhabditis elegans. Rejuvenation Res 2015 Oct; 18(5): 458-63. doi: 10.1089/rej.2014.1636.
  18. Canatelli-Mallat M, Lascaray F, Entraigues-Abramson M, Portiansky EL, Blamaceda N, Morel GR, Goya RG. Cryopreservation of a Human Brain and Its Experimental Correlate in Rats. Rejuvenation Res 2020 Dec; 23(6): 516-525. doi: 10.1089/rej.2019.2245.
  19. https://www.tomorrow.bio/post/can-cryopreservation-store-memories 
  20. https://www.fiercebiotech.com/research/restoring-neurons-to-preserve-memory-after-heart-attack-or-stroke
  21. https://www.amazon.de/Cryostasis-Revival-Recovery-Cryonics-Nanomedicine/dp/099681535X
  22. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/advs.202101691
  23. https://www.tomorrow.bio/post/recent-scientific-articles-cryopreservation
  24. https://www.youtube.com/watch?v=GZkLBauiLL8 

 

Weiterführende Quellen:

Autoren: Moritz Pohl, korrekturgelesen von Sandra Borst

Reicht ein gesunder Lebensstil aus, um nicht zu altern?

Bisher ist der Prozess des Alterns ein unausweichlicher Teil des menschlichen Lebens. Mit dem Fortschreiten der Zeit unterliegt der menschliche Körper Veränderungen auf zellulärer und molekularer Ebene, die schließlich zu sichtbaren Anzeichen des Alterns führen – bis hin zu Alterskrankheiten. Ein gesunder Lebensstil, der regelmäßige körperliche Aktivität, eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und den Verzicht auf schädliche Gewohnheiten, beispielsweise das Rauchen, beinhaltet, wird oft als Schlüssel zur Verlangsamung des Alterungsprozesses betrachtet. Aber reicht ein gesunder Lebensstil tatsächlich aus, um nicht mehr zu altern und den Alterungsprozess zu stoppen? Und falls nicht: Sorgt ein gesunder Lebensstil wenigstens für eine signifikante Verlangsamung des Alterungsprozesses?

Warum altern wir?

Der biologische Alterungsprozess

Der biologische Alterungsprozess ist ein komplexes Zusammenspiel aus genetischen Faktoren, Umwelteinflüssen und Lebensstilfaktoren. Im Laufe der Zeit verlieren Zellen an Funktionsfähigkeit, und der Körper wird anfälliger für Krankheiten und degenerative Veränderungen. Um diesen Prozess zu beeinflussen, gibt es einige Faktoren, die die Geschwindigkeit, mit der der Prozess voranschreitet, beeinflussen können. Zunächst schauen wir uns jedoch an, wie sich Altern in Subkategorien unterteilen lässt.

Primäres Altern

Grundsätzlich wird zwischen primärem und sekundärem Altern unterschieden. Das primäre Altern wird durch zelluläre Alterungsprozesse hervorgerufen und definiert somit die maximal erreichbare Lebensspanne für eine Spezies. Primäres Altern beinhaltet die biologischen Prozesse, die natürlicherweise im Körper ablaufen und dafür sorgen, dass wir altern. Beispielsweise benötigt unser Körper für u. a. die Muskelkontraktion ATP, welches in den Mitochondrien hergestellt wird. Durch die Herstellung von ATP werden jedoch freie Radikale frei, die über die Zeit dafür sorgen, dass die mitochondriale DNA mutiert. Dadurch können die Mitochondrien nicht mehr auf dem ursprünglichen Wege (oxidative Phosphorylierung + Citratzyklus) ATP herstellen, sondern nur noch durch den Citratzyklus, wodurch ein Überschuss an Elektronen entsteht, was diverse Zellschäden verursacht, die zur Alterung beitragen. Wir können noch so gesund leben, diesen Alterungsprozess werden wir nicht durch einen gesunden Lebensstil verhindern können, da jeder von uns ATP benötigt und durch die Herstellung von ATP automatisch freie Radikale entstehen, die mit der Zeit in Zellschäden resultieren.

Sekundäres Altern

Der sekundäre Alterungsprozess kann beispielsweise Folge von Krankheiten, Bewegungsmangel, schlechter Ernährung, schlechter Luft oder dem Konsum von Suchtmitteln sein. Er tritt als Folge eines (ungesunden) Lebensstils auf. Sekundäres Altern ist also der Teil des Alterns, der sich tatsächlich durch einen gesunden Lebensstil verhindern lässt.

Kann man primäres und sekundäres Altern voneinander abgrenzen?

Die beiden Subkategorien dienen eher dazu, deutlich zu machen, dass es Alterungsprozesse gibt, die sich nicht durch einen gesunden Lebensstil beeinflussen lassen, sondern natürlich in unserem Körper ablaufen, egal wie gesund wir leben. In Realität ist es jedoch so, dass auf molekularer oder zellulärer Ebene bei primärem oder sekundärem Altern nicht wirklich unterschiedliche biologische Veränderungen ablaufen. Es ist eher so, dass ein schlechter Lebensstil den Alterungsprozess beschleunigt, der von Natur aus abläuft und sich ohne künstlichen Eingriff nicht verhindern lässt.

Grenzen eines gesunden Lebensstils

Wer also einen gesunden Lebensstil anstrebt, um nicht zu altern, verhindert lediglich den Teil des Alterns, der zusätzlich zum natürlichen Alterungsprozess passiert, nicht jedoch den natürlichen Alterungsprozess selbst. Und das ist der Punkt, an dem Verjüngungsforschung ansetzt.

Verjüngungsforschung und primäres Altern

Verjüngungsforschung hat zum Ziel, das Altern rückgängig zu machen. Im Unterschied zu Menschen, die darauf abzielen, mithilfe von gesunder Lebensführung sekundäres Altern zu verhindern, zielt Verjüngungsforschung darauf ab, zusätzlich zum sekundärem Altern auch das primäre Altern rückgängig zu machen. Da primäres Altern maßgeblich für die maximale Lebensspanne ist, die eine Spezies erreichen kann, würde erfolgreiche Verjüngungsforschung nicht nur für ein gesünderes Leben sorgen, sondern sogar für ein verlängertes, gesünderes Leben. Wenn regelmäßig Verjüngungstherapien angewendet und verbessert werden, wäre es sogar denkbar, dass die maximale Lebensspanne signifikant steigt (Longevity Escape Velocity).

Sorgt ein gesunder Lebensstil wenigstens für eine signifikante Verlangsamung des Alterungsprozesses?

Zunächst: Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten und vielleicht ist es deshalb bisher auch noch nicht so bekannt, dass ein gesunder Lebensstil einen vergleichsweise geringen Effekt hat. Aber was macht es so schwer, diese Frage zu beantworten?

Um eine fundierte Antwort auf diese Frage zu geben, müssten alle Möglichkeiten eines gesunden Lebensstils betrachtet werden. Zudem bräuchte man Messwerte, inwiefern dieser oder jener Lebensstil die mittlere und maximale Lebensspanne beeinflusst. Um jedoch den Einfluss auf die Lebensspanne beim Menschen zu erfassen, müsste eine entsprechende Studie mehrere Jahrzehnte lang laufen – und davon gibt es bisher noch nicht viele. Wir haben uns für euch trotzdem mal das verfügbare Datenmaterial angeschaut.

Kalorienrestriktion als eine der wirksamsten Lifestyle-Interventionen

Kalorienrestriktion ist die Reduzierung der Energieaufnahme ohne Mangelernährung. Sie gilt als einer der wirksamsten Lebensstile für ein langes, gesundes Leben.

Calorie restriction (CR) is, to date, the most successful intervention to delay ageing progression or the development of age‐related chronic diseases.1

Und dennoch verlängert Kalorienrestriktion die Lebenserwartung vermutlich nur um 2-3 Jahre.2

Die Intervention also, die als am wirksamsten gilt, hat wahrscheinlich nur einen lebensverlängernden Effekt von 2-3 Jahren. Dieser Effekt ist so gering, dass die meisten Leute wohl in Kauf nehmen würden, 2-3 Jahre kürzer zu leben, statt ihre Kalorienzufuhr zu verringern. Denn es ist oft nicht einfach, seine Kalorienzufuhr zu reduzieren oder kann mit der Zeit teuer werden, wenn man stattdessen sogenannte CMR (caloric restriction mimetics) einnimmt, die die positiven Effekte der Kalorienrestriktion erzeugen sollen, ohne dass man auf seine Kalorienzufuhr achten muss.

Blue Zones – Regionen der Langlebigkeit

Blue Zones sind sogenannte Regionen, in denen die dort lebenden Menschen durchschnittlich älter werden als der Durchschnitt der Menschen, die in anderen Regionen wohnen. Die Werte, die dies belegen, basieren meist auf demographischen Daten. Zu den Blue Zones gehören beispielsweise Okinawa in Japan, Sardinien in Italien und Loma Linda in den Vereinigten Staaten.

Blue Zones sind deshalb so interessant, weil man sich den Lebensstil der dort lebenden Menschen anschauen und so Rückschlüsse ziehen kann, welcher Lebensstil besonders gesund ist, indem man den Lebensstil der verschiedenen Blue Zones miteinander vergleicht, um Schnittstellen zu finden, oder indem man Unterschiede zu den Regionen sucht, die keine Blue Zones sind.

Es kann also davon ausgegangen werden, dass Leute, die in den Blue Zones leben, mit ihrem Lebensstil sehr viel „richtig“ machen. Wie viel älter werden diese Menschen also, die sehr viel richtig machen, also sehr gesund leben?

Die mittlere Lebenserwartung der Einwohner von Okinawa ist im Jahr 1995 1,5 Jahre höher als die der Einwohner des japanischen Festlands, der Unterschied in der maximalen Lebenserwartung beträgt 3,8 Jahre. Verglichen mit Amerikanern ist die mittlere Lebensspanne um 4,9 Jahre höher – immer noch sehr wenig.3

Selbst die Menschen, die also sehr gesund leben – wie auch immer ihr gesunder Lebensstil aussieht – leben im Schnitt nur 5 Jahre länger als Menschen, die einen durchschnittlichen Lebensstil führen.

Ein anderer (möglicherweise noch einfacherer) Weg, die Auswirkung einer gesunden Lebensführung mit heutigen Mitteln zu messen, ist ein Vergleich der Lebenserwartung verschiedener Länder. Japan zum Beispiel ist dafür bekannt, auch insgesamt eine der höchsten Lebenserwartungen der Welt zu haben. Gründe dafür sind das gut ausgebaute Gesundheitswesen, die hohen Hygienestandards und vor allem die gesunde Ernährung: viel Gemüse, Fisch, Meeresfrüchte, Reis und grüner Tee. Dennoch ist Japan, obwohl es in der Liste aller Länder nach durchschnittlicher Lebenserwartung auf Platz 4 liegt, den USA, die nur auf Platz 48 liegen, lediglich um 4,2 Jahre voraus.4

Fazit: Reicht es aus, gesund zu leben, um nicht zu altern? Reicht es wenigstens aus, gesund zu leben, um gesund zu altern?

Nein! Ein gesunder Lebensstil verhindert lediglich sekundäres Altern, was – wie die Bezeichnung bereits ausdrückt – nicht der „Hauptalterungsprozess“ ist, sondern diesen lediglich beschleunigt. Mit einem gesunden Lebensstil verhinderst du also nur, dass der Alterungsprozess, der sowieso abläuft, noch schneller abläuft. Ein gesunder Lebensstil kann die Geschwindigkeit des Alterungsprozesses beeinflussen, aber er kann ihn nicht aufhalten. So ergeben sich auch die 3-5 Jahre, die man mit heutigen Maßnahmen für einen „gesunden Lebensstil“ dazugewinnen kann.

Ob das für einen selbst reicht, man also keine Notwendigkeit sieht, sich statt des gesunden Lebensstils oder zusätzlich dazu für mehr Verjüngungstherapien einzusetzen, obwohl Verjüngungstherapien primäres Altern rückgängig machen könnten und so potenziell für eine beträchtlich höhere Erhöhung der maximalen Lebensspanne sorgen könnten, muss jeder für sich selbst entscheiden. 

Quellen
  1. López-Lluch G, Navas P. Calorie restriction as an intervention in ageing. J Physiol. 2016 Apr 15; 594(8): 2043-60. doi: 10.1113/JP270543. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4834802/ (zuletzt aufgerufen: 06.12.2023)
  2. de Grey AD. The unfortunate influence of the weather on the rate of ageing: why human caloric restriction or its emulation may only extend life expectancy by 2-3 years. Gerontology. 2005 Mar-Apr; 51(2): 73-82. doi: 10.1159/000082192. The Unfortunate Influence of the Weather on the Rate of Ageing: Why Human Caloric Restriction or Its Emulation May Only Extend Life Expectancy by 2–3 Years | Gerontology | Karger Publishers (zuletzt aufgerufen: 06.12.2023)
  3. Willcox BJ, Willcox DC, Todoriki H, Fujiyoshi A, Yano K, He Q, Curb JD, Suzuki M. Caloric restriction, the traditional Okinawan diet, and healthy aging: the diet of the world’s longest-lived people and its potential impact on morbidity and life span. Ann N Y Acad Sci. 2007 Oct; 1114: 434-55. doi: 10.1196/annals.1396.037. https://citeseerx.ist.psu.edu/document?repid=rep1&type=pdf&doi=d60c36654c81af95c02fdf8e428971fab2f392c6 (zuletzt aufgerufen: 06.12.2023)
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_L%C3%A4ndern_nach_durchschnittlicher_Lebenserwartung (zuletzt aufgerufen: 06.12.2023)

Kryonikanbieter im Vergleich

Wie viele Organisationen bieten die Kryokonservierung von Menschen eigentlich an – und wie unterscheiden sie sich?

Wir werden uns hier auf die vier relevantesten Anbieter (Alcor Life Extension Foundation, Cryonics Institute, KrioRus und Tomorrow Biostasis) konzentrieren und diese vergleichen. Allerdings gibt es durchaus noch andere Einrichtungen, die erwähnenswert sind, beispielsweise Oregon Cryonics und Trans Time in den USA, Cryonics Germany mit dem Angebot einer Neurolagerung in Deutschland – oder auch solche, die andere Teile der Welt abdecken. Beispiele dafür sind Southern Cryonics in Australien und das Shandong Yinfeng Life Science Research Institute in China. 

Lies unseren Einführungsbeitrag zu Kryonik, wenn du zum ersten Mal davon hörst.

Welcher Kryonik-Anbieter ist für mich der richtige?

Bei der Suche nach dem Anbieter, der am besten für einen selbst geeignet ist, gibt es verschiedene Punkte zu beachten. Die wohl wichtigste Frage ist, wie schnell er einen im Fall eines plötzlichen Todes erreichen kann. Schließlich sind die ersten Stunden nach der Todeserklärung aufgrund der rasch einsetzenden Zerfallsprozesse die wichtigsten.

Wir vergleichen die vier genannten Anbieter nach den relevantesten Kriterien in einer Tabelle und gehen danach noch einzeln auf sie ein. Wichtig: Dieser Text soll nur zur ersten Orientierung dienen. Falls ihr Interesse an einem Kryonik-Vertrag habt, empfehlen wir euch unbedingt, weiter zu recherchieren, alle Umstände eures eigenen Falles zu berücksichtigen und daraufhin mit dem Anbieter eurer Wahl Kontakt aufzunehmen, bevor ihr eine endgültige Entscheidung trefft.

Die vier wichtigsten Kryonik-Organisationen im Vergleich

  Alcor Cryonics Institute KrioRus Tomorrow Biostasis
Gründungsjahr 1972 1976 2003 2019
Angebote Ganzkörper- und
Neurokonservierung
Ganzkörper-,
DNA- und
Gewebe-
konservierung
Ganzkörper-,
Neuro-, DNA- und Gewebe-
konservierung
Ganzkörper- und Neurokonservierung
Preis der Kryo-
konservierung
Ganzkörper für
200 000 $, Neuro für
80 000 $
Ganzkörper für
28 000 $
beziehungsweise
35 000 $
Ganzkörper für 36 000 €, Neuro für
18 000 €
Ganzkörper für
200 000 €
Mitgliedsbeitrag 55 $ pro Monat 1250 $ auf
einmal oder
anfänglich 75 $
und dann 120 $
pro Jahr
? 25 € pro Monat
Kryoprotektor M22 VM1 ? VM1
Lagerort Scottsdale, Arizona
(USA)
Clinton Township,
Michigan (USA)
Moskau
(Russland)
Rafz (Schweiz)
Mitglieder 1415 1942 ? 357
kryokonservierte
Mitglieder
208 243 94 keine
Standby ja – eigene Standby-
Teams für Mitglieder
in der Nähe der
Einrichtung – sonst über
einen externen Dienst
optional über
einen externen
Dienst
optional ja – Standby-Teams
in Berlin, Amsterdam und Zürich
Forschungstätigkeit ja teilweise ja ja
Konservierung von
Haustieren
ja – für Mitglieder ja – für Mitglieder ja – für Mitglieder ja – für Mitglieder

 

Alcor Life Extension Foundation

Die älteste und renommierteste Kryonik-Einrichtung ist die Alcor Life Extension Foundation. Sie liegt in Scottsdale, einer Stadt im US-Bundesstaat Arizona. Die Stadt liegt in einer Region, in der das Risiko für Naturkatastrophen sehr gering ist, um langfristige Sicherheit für die kryokonservierten Mitglieder zu gewährleisten. Diese Risikolandkarte illustriert das sehr anschaulich:

https://i0.wp.com/www.alcor.org/wp-content/uploads/2020/02/Risk-Map-1.png?fit=864%2C575&ssl=1

Die schattierten Bereiche stellen eine Zusammenfassung von vier Arten von Naturkatastrophen dar: Erdbeben, Wirbelstürme, Tornados und Schneestürme. Die dunkle, mittlere und helle Schattierung steht für Gebiete mit hohem, mittlerem und niedrigem Risiko. (Selbst ein geringeres Risiko ist immer noch signifikant, insbesondere über einen sehr langen Zeitraum.) Die Region von Scottsdale ist mit einem roten Punkt markiert – sie ist im Gebiet mit dem absolut geringsten Risiko für verschiedene Naturkatastrophen.

Alcor bietet sowohl Ganzkörper- als auch Neurokonservierungen an. Bei letzterer wird nur das Gehirn gelagert, welches nach derzeitigem Wissensstand der Sitz von Gedächtnis, Identität und Persönlichkeit ist. Die Organisation hat auch ein internes Standby-Team für Menschen, die sich in der Nähe der Einrichtung befinden. Damit ist ein Team aus medizinischem Fachpersonal gemeint, das noch vor dem vorhersehbaren Tod eines Mitglieds zu dessen Standort geschickt wird, um direkt nach der gesetzlichen Todeserklärung mit dem Verfahren zu beginnen. Unheilbar kranken Mitgliedern wird deshalb empfohlen, vor dem gesetzlichen Tod in die entsprechende Gegend zu ziehen. Dabei haben sie im Rahmen des Standby-Programms Anspruch auf eine Umzugshilfe von bis zu 10 000 US-Dollar. Befindet sich der Patient jedoch weiter entfernt, arbeitet Alcor mit einem externen Dienst zusammen. Dieser kümmert sich um Standby, Stabilisierung und Transport (SST). Derzeit nutzt Alcor dafür die Unternehmen Suspended Animation, Inc. und International Cryomedicine Experts

Eine weitere Besonderheit von Alcor: Wenn bereits ein Familienmitglied einen Vertrag abgeschlossen hat, gibt es für weitere Familienmitglieder eine Ermäßigung: 33 Dollar pro Monat für jeden Erwachsenen und acht Dollar pro Monat für Kinder.

Alcor verwendet den Kryoprotektor M22, den das kryobiologische Unternehmen 21st Century Medicine entwickelt hat. M22 ist der zurzeit am besten dokumentierte Kryoprotektor und verspricht laut Alcor die besten Gesamtergebnisse. Das hat allerdings auch seinen Preis. Jeder Einsatz von M22 kostet einen mittleren fünfstelligen Betrag, was die Kosten der Kryokonservierung um ein Vielfaches erhöht.

Cryonics Institute (CI)

Das Cryonics Institute, 1976 von Robert Ettinger gegründet, liegt in Clinton Township (US-Bundesstaat Michigan). Der Preis ist dort vor allem deshalb so viel niedriger, weil die Kosten für Standby und Transport nicht inkludiert sind. Nichtsdestotrotz ist das Cryonics Institute auch insgesamt immer noch billiger als Alcor oder Tomorrow Biostasis – der Unterschied ist nur nicht so groß, wie er auf den ersten Blick zu sein scheint.

Im Gegensatz zu den anderen drei Anbietern, die wir hier analysieren, hat sich das Cryonics Institute auf Ganzkörperkonservierungen spezialisiert. 

Das Cryonics Institute bietet sowohl eine jährliche als auch eine lebenslange Mitgliedschaft an. Bei ersterer sind einmalig 75 $ und anschließend 120 $ pro Jahr zu zahlen. Die Kryokonservierung kostet in diesem Fall 35 000 $. Bei der lebenslangen Mitgliedschaft zahlt das Mitglied einmalig 1250 $, wobei die Kryokonservierung 28 000 $ kostet. Last-Minute-Fälle (sofern sie durchgeführt werden können und angenommen werden) kosten 45 000 $.

Das Cryonics Institute setzt den Kryoprotektor VM1 ein. VM1 ist zwar etwas weniger gut dokumentiert, hat aber einen vergleichsweise geringen Preis von nur ein paar hundert Euro pro Anwendung. 

KrioRus

KrioRus ist für lange Zeit die nächstliegende Option für Kryoniker aus Europa und Asien gewesen. Sie bietet sowohl Ganzkörper- und Neurokonservierung als auch die Lagerung von DNA an. Außerdem ist KrioRus die einzige der vier hier verglichenen Organisationen, die keine Finanzierung über eine Lebensversicherung akzeptiert. 

Tomorrow Biostasis

Tomorrow Biostasis ist die jüngste der vier Einrichtungen, die Kryokonservierung anbieten – und auch die erste in Mitteleuropa. Das Berliner Startup hat ein Standby-Team in Berlin, Amsterdam und bald auch in Zürich. Der Anmeldeprozess ist bei Tomorrow Biostasis zur Gänze online möglich. Da es das Startup erst seit 2019 gibt, hat es noch nicht so viele Mitglieder wie Alcor oder CI. Das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei 36 Jahren, weshalb das Unternehmen noch kein eigenes Mitglied kryokonserviert hat. Die Angestellten unterstützen allerdings regelmäßig Fälle von Nicht-Mitgliedern.

Tomorrow Biostasis verwendet wie das Cryonics Institute VM1 für die Kryokonservierung, allerdings eine leicht abgeänderte Version des Mittels, die direkt von der Forschungsabteilung des Unternehmens hergestellt wird.

 

Quellen

Vergleiche:

https://www.reddit.com/r/cryonics_europe/comments/r37uh7/whichcryonics_company_is_the_best_for_you/ | https://timeskipper.com/get-crazy-about-cryo/choosing-a-cryonics-company-which-one-is-right-for-you/ | https://www.tomorrow.bio/post/best-cryonics-company-for-you https://www.lesswrong.com/posts/QRhZ4JpNsfKhmBeb9/3-choosing-a-cryonics-provider 

Websites der nicht näher behandelten Anbieter:

https://www.oregoncryo.com/ | https://www.transtime.com/ | https://cryonics-germany.org/ | https://southerncryonics.com/ | https://en.yinfenglife.org.cn/

Zum Nachlesen

Was ist Kryonik?

Was ist Kryonik?

Kryonik (auch Biostase genannt) ist der Plan B für alle Menschen, für welche die ersten Verjüngungstherapien voraussichtlich zu spät kommen. Dabei wird der Körper (oder bei einer Neurokonservierung auch nur das Gehirn) nach der Todeserklärung schrittweise auf -196°C heruntergekühlt und schließlich in flüssigem Stickstoff gelagert. Bei dieser Temperatur stoppt alle biologische Aktivität. Ziel ist es, den Körper so lange aufzubewahren, bis zukünftige Technologien es möglich machen, diesen Menschen wiederzubeleben und seine Todesursache zu beseitigen. Der Begriff kommt vom griechischen Wort “kryos”, was übersetzt so viel wie “Frost” oder “Eiseskälte” bedeutet.

Geschichte und Status quo der Kryonik

Als Pionier der Kryonik gilt der amerikanische Hochschullehrer Robert Ettinger. Im Jahr 1962 hat er das Buch “The Prospect of Immortality”1 veröffentlicht und damit die Kryonik-Bewegung gestartet. 1967 hat sich der erste Mensch einfrieren lassen – James Bedford, ein Psychologieprofessor aus den USA.2 Mittlerweile werden weltweit rund 500 Menschen in dafür vorgesehenen Einrichtungen aufbewahrt und über 4000 haben bereits einen Vertrag abgeschlossen.3 Darunter sind auch einige Celebritys, wie diese Liste zeigt.4

Kryonik-Anbieter

Die drei weltweit größten Anbieter sind die Alcor Life Extension Foundation (Scottsdale, Arizona), das Cryonics Institute (Clinton Township, Michigan) und KrioRus (Moskau, Russland). Aber auch in Europa und sogar in Deutschland gibt es Organisationen, die Kryonik anbieten: zum Beispiel das Berliner Startup Tomorrow Biostasis. Die Interessengemeinschaft Cryonics Germany bietet neben einer Neurokonservierung in Deutschland zudem eine Möglichkeit zum Austausch und hilft bei rechtlichen, finanziellen, organisatorischen und technischen Fragen weiter.5

Mehr über die verschiedenen Kryonikanbieter erfahren

Vitrifizierung

Kryokonservierung wird bereits routinemäßig bei Herzklappen, größeren Blutgefäßen, menschlicher Haut, Sperma und befruchteten Eizellen (siehe In-vitro-Fertilisation) angewendet.6 Der heutzutage wichtigste Schritt: die Vitrifizierung. Dabei werden die Körperflüssigkeiten durch einen sogenannten Kryoprotektor ersetzt. Das ist notwendig, weil es beim Gefrieren normalerweise zur Bildung von Eiskristallen kommt, die die Zellmembran und damit das Gewebe zerstören. Der Kryoprotektor nimmt beim Gefrieren einen glasartigen Zustand an, ohne Kristalle zu bilden.7

Der Tod als umkehrbarer Prozess

Wie sollen aber Menschen, die bereits tot sind, in Zukunft wieder leben können? Der Tod ist kein einmaliges Ereignis, sondern vielmehr ein neurologischer Prozess, der eintritt, sobald das Herz zu schlagen aufhört.8 Das Ziel von Kryonik ist, diesen Prozess zu unterbrechen und zu stoppen – innerhalb eines Zeitfensters, in dem er in Zukunft umkehrbar sein könnte.9 Ärzte erklären einen Patienten dann für tot, wenn sie mit der gegenwärtig verfügbaren Medizin nichts mehr für ihn machen können. Früher ist das bei Herzstillstand der Fall gewesen. Mittlerweile rettet die in den 1950er-Jahren entwickelte Herz-Lungen-Wiederbelebung tagtäglich Menschen auf der ganzen Welt, die einen Herzstillstand erlitten haben. Die Wissenschaft verschiebt ständig die Grenzen dessen, was als “tot” gilt.

Kryonik will diese Grenzen weiter ausdehnen: Sie sorgt dafür, dass sich der Zustand des Patienten nicht noch weiter verschlechtert und gibt der weitaus fortschrittlicheren Technologie der Zukunft eine Chance, das Problem des Patienten zu beheben und ihn zurück ins Leben zu holen. Insofern ist Kryonik also lediglich eine Erweiterung der Notfallmedizin – eine Art Krankenwagen in die Zukunft.10 Auch nach dem Erreichen biologischer Unsterblichkeit wird sie immer noch von Nutzen sein, beispielsweise um Todesfälle durch Unfälle oder nicht altersbedingte Krankheiten zu verhindern.11

Der Tod einer Person ist erst dann endgültig, wenn die für das Gedächtnis und die Persönlichkeit notwendige Struktur (also die Information, die eine Person ausmacht) so weit zerstört ist, dass es theoretisch unmöglich ist, die Person wiederherzustellen. Dieses Konzept ist als informationstheoretischer Tod (engl. “information-theoretic death”) bekannt.12

Bisherige Erfolge in der Kryokonservierung

Welche Erfolge gibt es bereits? Wir haben es bisher noch nicht geschafft, Menschen aufzuwärmen und wiederzubeleben. Allerdings: Bei einzelnen größeren Organen wie Nieren funktioniert der Prozess bereits. 2009 hat beispielsweise eine Forschungsgruppe unter der Leitung des Kryobiologen Greg Fahy es erstmals geschafft, die Niere eines Hasen zu vitrifizieren, zu kryokonservieren und so in einen anderen Hasen zu transplantieren, dass sie auch weiterhin normal funktioniert hat.13 Eine Studie im Jahr 2015 hat gezeigt, dass Modellorganismen (Fadenwürmer) kryokonserviert und wiederbelebt werden können, wobei ihre Erinnerungen intakt bleiben.14 Ebenfalls unter Fahys Leitung haben Forscher 2015 zudem das erste Mal Hasen- und Schweinegehirne so vitrifiziert und wieder aufgewärmt, dass die neuronale Vernetzung im gesamten Gehirn (das sogenannte Konnektom) nahezu perfekt erhalten geblieben ist.15 Mehr zur dafür verwendeten Methode findet ihr in unserem Post über die aktuelle Forschung im Bereich Kryonik!

Das Problem: Auch mit Vitrifizierung erleidet der kryokonservierte Körper immer noch beträchtliche Schäden – möglicherweise zu viele Schäden, um in Zukunft durch Aufwärmen wiederbelebt zu werden. (Eine andere Möglichkeit zur Wiederbelebung ist Mind-Uploading.16 Davon sind wir aber noch weit entfernt, denn wir haben noch viel darüber zu lernen, wie das menschliche Gehirn funktioniert.) Die Vitrifizierung von größeren Tieren oder Menschen ist deshalb noch nicht umkehrbar, weil für die Erhaltung von solch großen Strukturen sehr viel Kryoprotektor nötig ist. Dadurch wird die Wiederherstellung der Zellfunktion mit derzeit verfügbarer Technologie unmöglich.

Heliumpersufflation: ein Ansatz mit großem Potenzial

Erfreulicherweise gibt es einen neuen Ansatz, der das bald ändern könnte: Heliumpersufflation. Dabei wird kaltes Helium durch die Blutgefäße gepumpt. Der große Vorteil ist, dass der Körper damit viel schneller auf unter 120°C gekühlt werden kann als mit der alten Methode. Außerdem lassen sich so die Brüche im Gewebe vermeiden, die bisher noch auftreten. Der Ansatz hat auch abgesehen von Kryonik das Potenzial, zahlreiche Leben zu retten: Organtransplantationen wären dadurch in viel größerem Umfang möglich als heute. Keinice Bio, das Unternehmen, welches diese Technologie vorantreibt, wird unter anderem von der LEV Foundation finanziert.17

Wie soll die Wiederbelebung funktionieren?

Wie könnte die Wiederbelebung in Zukunft (abgesehen von Uploading) aussehen? Die Frage ist deshalb schwer zu beantworten, weil sie von Technologien abhängig ist, die heutzutage noch nicht in der nötigen Form existieren. Aktuelle technologische Fortschritte sind allerdings vielversprechend – unter anderem in Bereichen wie Tissue Engineering, biologischer 3D-Druck und Nanotechnologie. Letztere wäre wahrscheinlich notwendig, um die vor und während der Konservierung entstandenen Schäden auf molekularer Ebene wirklich umfassend zu reparieren. Der Nanotechnologe Robert Freitas hat 2022 das 700-seitige Buch “Cryostasis Revival: The Recovery of Cryonics Patients through Nanomedicine”18 veröffentlicht, in dem er einen möglichen Weg zur Reanimation und Wiederherstellung der Gesundheit von kryokonservierten Menschen aufzeigt. Hier19 ist seine Zusammenfassung des Buches, in dem er das von ihm ausgearbeitete Konzept kurz vorstellt.

Finanzierung, rechtliche Aspekte und Weiteres zur Kryonik

Stellt sich nur noch die Frage nach dem rechtlichen Rahmen und der Finanzierung. In einem unserer nächsten Beiträge der Kryonik-Serie gehen wir ausführlich darauf ein. Soviel vorweg: Ein Vertrag zur Kryokonservierung ist für die meisten Menschen gut finanzierbar – über eine Lebensversicherung. Und es gibt auch die Möglichkeit, Haustiere kryokonservieren zu lassen: In der Alcor Life Extension Foundation werden bereits knapp 100 Tiere in flüssigem Stickstoff aufbewahrt.20

 

Quellen

  1. https://www.amazon.com/Prospect-Immortality-Robert-C-Ettinger/dp/097434723X ↩︎
  2. https://www.cryonicsarchive.org/library/dear-dr-bedford-an-open-letter-to-the-first-frozen-man/ ↩︎
  3. https://www.tomorrow.bio/glossary/how-many-people-are-currently-cryonically-preserved ↩︎
  4. https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_people_who_arranged_for_cryonics ↩︎
  5. Websites: https://www.alcor.org/ | https://cryonics.org/ | https://kriorus.ru/en | https://www.tomorrow.bio/ | https://cryonics-germany.org/ ↩︎
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Kryokonservierung ↩︎
  7. Fahy GM, Wowk B. Principles of cryopreservation by vitrification. Methods Mol Biol 2015; 1257: 21-82. doi: 10.1007/978-1-4939-2193-5_2. PMID: 25428002. ↩︎
  8. https://www.alcor.org/library/faq-scientists-questions/#death ↩︎
  9. https://www.alcor.org/what-is-cryonics/ ↩︎
  10. https://www.youtube.com/watch?v=JwNNdG4MZvc ↩︎
  11. https://www.youtube.com/watch?v=nsUWw0I_-HY&t=947s ↩︎
  12. https://en.longevitywiki.org/wiki/Information_theoretic_death ↩︎
  13. Fahy GM, Wowk B, Pagotan R, Chang A, Phan J, Thomson B, Phan L. Physical and biological aspects of renal vitrification. Organogenesis 2009 Jul; 5(3): 167-75. doi: 10.4161/org.5.3.9974. PMID: 20046680; PMCID: PMC2781097. ↩︎
  14. Vita-More N, Barranco D. Persistence of Long-Term Memory in Vitrified and Revived Caenorhabditis elegans. Rejuvenation Res 2015 Oct; 18(5): 458-63. doi: 10.1089/rej.2014.1636. Epub 2015 Aug 20. PMID: 25867710; PMCID: PMC4620520. ↩︎
  15. McIntyre RL, Fahy GM. Aldehyde-stabilized cryopreservation. Cryobiology 2015 Dec; 71(3): 448-58. doi: 10.1016/j.cryobiol.2015.09.003. Epub 2015 Sep 25. PMID: 26408851. ↩︎
  16. https://de.wikipedia.org/wiki/Mind_uploading ↩︎
  17. https://www.levf.org/projects ↩︎
  18. https://www.amazon.de/Cryostasis-Revival-Recovery-Cryonics-Nanomedicine/dp/099681535X ↩︎
  19. https://www.alcor.org/docs/cryostasis-revival-summary.pdf ↩︎
  20. https://www.euronews.com/next/2023/01/15/inside-the-us-facility-where-199-legally-dead-humans-and-almost-100-pets-await-being-reviv ↩︎

Bildquelle: https://www.flickr.com/photos/arenamontanus/8111396819 (mit Veränderungen)

Weiterführende Quellen:

Für immer jung mit Kleine-Gunk: Wie mit Hilfe von Kryonik der Tod ausgetrickst werden soll: https://www.youtube.com/watch?v=_C-JVeDntZ4 

Wait But Why – Why Cryonics Makes Sense: https://waitbutwhy.com/2016/03/cryonics.html 

ARD Mediathek: NDR – Leben nach dem Tod: “Ich lasse mich einfrieren”: https://www.ardmediathek.de/video/deep-und-deutlich/leben-nach-dem-tod-ich-lasse-mich-einfrieren/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS9lZDYxNDA5OC1kNmNjLTRmNjItYjUzNi01ZTY3ZTU1NTQ5MDE

Talk von Tanya Jones über Kryonik auf einer ideacity-Konferenz – “Extending Lives Through Cold”: https://www.ideacity.ca/video/tanya-jones-extending-lives-cold/

Ausführlicher wissenschaftlicher Artikel mit Argumenten, warum Kryonik Sinn macht (“Scientific Justification of Cryonics Practice”): https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4733321/ 

FAQ von Tomorrow Biostasis: https://www.tomorrow.bio/de/faq 

FAQ von Alcor: https://www.alcor.org/library/frequently-asked-questions/ 

Life Extension Advocacy Meetup Berlin

In Berlin finden regelmäßig parteiunabhängige Treffen zum Thema Öffentlichkeitsarbeit für mehr Verjüngungsforschung statt. Jeder, der Interesse an dem Thema hat, ist herzlich eingeladen, teilzunehmen. Die Treffen werden u.a. in unserer Partei-Facebookgruppe angekündigt. Hier ist ein Video eines vergangenen Treffens, in dem sich ein paar der Teilnehmer vorstellen: